Wenn ein Stern stirbt

Von Albertus


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Der Untergang der »Wega«


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Wenige Tage vor Weihnachten stolperte ich bei ebay über ein Dienstzeugnisbuch des Norddeutschen Lloyd. Mein Sammeltrieb wollte dieses Dokument besitzen. Erwartungsvoll ersteigerte ich das 1903 ausgestellte Büchlein, das lt. Aussage des Verkäufers Schönheitsflecken besaß.
Nach Ankunft verriet mir das Dokument, dass der Inhaber Anfang des neunzehnten Jahrhunderts als Heizer auf den stolzesten Passagierdampfern durch die Weltmeere geschippert war.

Sechs Monate und 13 Tage schaufelte Johann Hartmann, so der Name des Inhabers, die Kohlen ins Feuer des Doppel-Schraubendampfers »Großer Kurfürst«. Der Mann dürfte nicht viel von den schönen Weltreisen mitbekommen haben. Der Beruf des Schiffsheizers ließ es nicht zu, an der Reeling zu stehen, die Nase in den Wind zu halten und den Wellengang zu beobachten. Der Beruf eines Heizers war ein kräftezehrender, gefährlicher Job, eine schweißtreibende Tätigkeit, die es heute bei der christlichen Seefahrt nicht mehr gibt.
Hartmann schaffte die Kohle aus weit entfernt liegenden Kohlebunkern heran. Er war im Schichtbetrieb dafür verantwortlich, dass stets genügend Dampf auf den Kesseln war.





Sein 13.243 BRT großes Schiff, »Großer Kurfürst« war 177 Meter lang, fast 19 Meter breit und hatte einen Tiefgang von 12 Metern. Mit der 9.000 PS starken Maschinenanlage legte es ungefähr 15 Seemeilen in der Stunde zurück und bot 234 Passagieren Platz.


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Johann Hartmann war einer von ihnen. Das Buch bescheinigte, dass er das Schiff auf eigenen Wunsch verließ. Seine Diensttüchtigkeit an Bord wurde mit „gut“ deklariert, sein Betragen wurde „ohne Tadel“ bezeichnet, auch nüchtern sei er gewesen. Die Beurteilung schrieb- der vorgesetzte Ingenieur in das blaue Dienstzeugnis-Buch des Norddeutschen Lloyd.
Karl May dürfte Johann Hartmann während seiner Bordzeit nicht getroffen haben. Der Autor startete wenig später mit seiner Frau ab Bremerhaven seine erste große Amerikareise.
May reiste in der ersten Klasse des Luxusliners, so wie auch König Friedrich August III. von Sachsen. Allerdings reiste dieser 1911 "inkognito" nach Ägypten.
Es folgten ähnlich bedeutsame Schiffe des Norddeutschen Lloyd, auf denen Joh. Hartmann Kohlen ins Feuer schaufelte.





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»Kaiser Wilhelm der Große«
Auf diesem Schiff erlebte Hartmann, wie das erste Seefunktelegramm über das vor Borkum liegende Feuerschiff »Borkumriff« zur Funkstation auf die Insel übermittelt wurde. Ein bedeutsames Ereignis, das weltweit Geschichte schrieb.



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»Wilhelm der Große«
Auch auf diesem Ozeanliner fuhr Hartmann als Heizer.




Während des Blätterns ahnte ich nicht, welches tragische Schicksal den Inhaber des Büchleins Jahre später ereilen sollte. Ich archivierte das historische Seefahrer-Dokument als eines, das es seinerzeit tausendfach gab. Doch dann ergab sich folgende Begebenheit:
Tage, nachdem ich das Büchlein ersteigert hatte, stolperte ich über eine eigentümlich klingende Auktion. Ein »Seefahrtsbuch mit Wasserflecken. Ertrunken!« wurde vom gleichen Verkäufer bei eBay feilgeboten...
Die Wasserflecken wurden in der Artikelbeschreibung mit dem Hinweis begründet, dass der Inhaber des Buches, ein Heizer, ertrunken sei.
Aus Erfahrung wusste ich, dass so ein amtliches Dokument einen guten Erlös erzielen würde. Derartige stumme Zeitzeugen sind gefragt und werden gut bezahlt, besonders wenn noch außergewöhnliche Spuren jener Jahre an dem Relikt kleben.
Da war ein Seemann, der die Kohlen in Zeche Elend (ugs.) ins Feuer der stolzesten Ozeanliner schippte, in den Fluten der Meere ertrunken...
Nun, fast hundert Jahre später, werden seine persönlichen Papiere, das, was von ihm blieb, für ein paar Euros weltweit versteigert.
Spontan brachte ich mich bei dem Verkäufer in Erinnerung, outete mich als Sammlerin alter Dokumente und verriet, dass ich eine maritime Ausstellung an adäquaten Orten plane. Ich zeigte Betroffenheit und mein Befremden über die neuzeitlich zu beobachtende Geschäftigkeit mit Schicksalen verstorbener Menschen. Auch ließ ich ihn wissen, dass es mein Budget übersteigt, alle angebotenen Dokumente zu ersteigern, um sie für mein Vorhaben wieder chronologisch zusammenzuführen.
Ich hatte großes Glück, meine Zeilen kamen an, sie trafen den Verkäufer mitten ins Herz!
Rolf, hieß der Mann, er war ein ehemaliger Mariner und von meiner Idee begeistert. Er stoppte die Auktionen der einzeln angebotenen Papiere des Seemannes zu Gunsten einer Spende der DGzRS.
So erhielt ich wenige Tage später ein weiteres Zeugnisheft, ein Foto und einige Zeitungsartikel zu dem Schiffsunglück - bei dem der Opa seines besten Kumpels vor 90 Jahren ertrank.
Das war mehr als ich erwartete, zügig überwies ich einen angemessenen Obolus an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.


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Der erste Eintrag in Johann Hartmanns viertes Seefahrtsbuch sollte für immer die letzte Registratur bleiben.




Was war passiert?

Am 23.09.1925 gegen 21.00 Uhr kollidierte auf der Weser bei Vegesack, der Schlepper »WEGA« (norddeutscher Lloyd) mit dem Motorschiff »Vogtland« (7106 BRT) und sank. Trotz des eingeleiteten Rückwärtsmanövers schob die querliegende »Vogtland« den Schlepper vor sich her. Durch die offen stehenden Türen drangen große Wassermassen in das Schiff, so dass die »Wega« sehr schnell auf Grund ging.
Von der sechsköpfigen Besatzung wurde der Koch (Ebert), der Kapitän (Otten) und ein Heizer (Wiegand) aus dem Wasser gefischt. Der herbeigeeilte Schlepper Pirat 3 brachte den bewusstlosen Kapitän und den Heizer ins Krankenhaus nach Vegesack.
Doch die zweistündigen Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos, die Ärzte konnten nur noch den Tod feststellen.
Ein Steuermann (Winter), der Maschinist (Lamke) und der Heizer Hartmann, dessen Seefahrtsbuch mir vorliegt, sind nicht mehr aus dem Schiff gekommen und ertranken bei dem Unglück. Einziger Überlebender des Unglücks war der Koch (Ebert).
Kurze Zeit später wurde der Schlepper gehoben und repariert.
Während des 2. Weltkrieges sank die »Wega« erneut im Europahafen in Bremen. Wieder wurde sie gehoben und repariert.
1954 wurde der unglückselige Stern endgültig zum Abbruch nach Bremerhaven verkauft. (Quelle: Gerichtsurteil vom Seeamt Bremerhaven)

Das Seefahrtsbuch endet mit dem Eintrag:
Die Abmusterung ist unterblieben, weil Inhaber beim Untergang des Schiffes ertrunken


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Ein originaler Zeitungsartikel erzählt die Geschehnisse und Schlussfolgerungen des Gerichtes.

Der Unfall des Schleppers »Wega«
Vom Verband deutscher Kapitäne und Steuerleute wird uns geschrieben:
Am 23. September, nachmittags, erhielt der Lloydschlepper »Wega« die Order, das von See kommende 5000 Tonnen große Hamburger Motorschiff »Vogtland«nach Bremen zu begleiten. In der Nähe der Vulkan-Werft bei Vegesack wollte die »Wega« die Schleppverbindung herstellen.
Um die Leine zu übergeben, ging die »Wega« vor die »Vogtland«, hierbei wurde der Schlepper überlaufen und zum Kentern gebracht.Die aus 6 Mann bestehende Besatzung, mit Ausnahme des Kochs, kam hierbei ums Leben. Dieser Unfall wurde am 30. September vor dem Seeamt in Bremerhaven verhandelt.
Liest man den Verhandlungshergang sowie den gefällten Spruch, so mutet es einen an, als habe sich irgendwo ein bedauerlicher Unfall ohne besondere Bedeutung ereignet und nicht ein Unglück, bei dem fünf im besten Mannesalter stehende Menschen den Tod fanden, um die fünf Witwen mit Kindern um ihre Ernährer trauern.
Das Seeamt entschied, dass niemandem eine Schuld beizumessen sei. Hierzu ist vor allem festzustellen: Waren beide Schiffe manövrierfähig, d.h. waren Maschinen und Rudergeschirre in Ordnung? Da man im Verhandlungsbericht sowie im gefällten Spruch hierüber nichts gelesen hat, muss wohl angenommen werden, dass dieses der Fall war. Auch war es an dem Tage weder windig noch nebelig. Bei dem Unglück herrschte also weder die Einwirkung höherer Gewalt noch ist ein Versagen der mechanischen Einrichtungen auf beiden Schiffen festgestellt worden. Und doch ist das Unglück passiert und keiner hat Schuld.Dabei sollte man meinen, läge der Fall so klar wie selten einer: Hat der Schleppdampfer ohne Aufforderung von der »Vogtland« versucht die Schleppverbindung herzustellen, so hat der Schleppdampfer die Schuld, weil er sich vor das mit ziemlich schneller Fahrt laufende Motorschiff begab. Hat aber die »Vogtland« das Kommando gegeben, dass die »Wega« das Schiff anfassen soll, ohne das das Motorschiff die Fahrt bedeutend verringerte oder gar stoppte, so hat die »Vogtland« die Schuld, etwas anderes kann es nicht geben.
Da, nachdem der Schleppdampfer gehoben, er an der Außenhaut wenig Beschädigungen aufweist, ist anzunehmen, dass er sich der »Vogtland« vorsichtig genähert hat; andernfalls würde er bei der Fahrt, die die »Vogtland« gehabt haben muss, schwer beschädigt oder durchgeschnitten sein.
Da der Kapitän der »Wega« ein älterer Schiffsführer ist, ist wohl als feststehend anzunehmen, dass er sich der Gefahr bewusst war, sich vor ein in ziemlich schneller Fahrt befindliches Schiff zu wagen; jedenfalls hat er es in dem guten Glauben getan, die »Vogtland« werde die Fahrt verringern. Ist das Übergeben der Leine bei einem in Fahrt befindlichen Schiff am Tage schon schwierig, so ist dies bei Dunkelheit fast ausgeschlossen. Schon das der Schlepper die Fahrt des zu schleppenden Schiffes, sowie das langsame Steifkommen der Schleppleine nicht einwandfrei feststellen kann, gibt Möglichkeiten zur Kollision und Personenunfällen. Dies weiß auf einem Schlepper jedermann und sollte auch auf dem zu schleppenden Schiff als bekannt vorausgesetzt werden. Ist nun wie schon erwähnt von der »Vogtland« der Befehl an die »Wega« ergangen, das Schiff anzufassen, ohne diese selbstverständlichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, so trifft die hierfür verantwortliche Person die Schuld, einerlei ob es der Lotse, der Kapitän, der 1.Offizier oder sonst wer ist. Ein Beschönigen oder Vertuschen darf es hier nicht geben. Der Fall »Wega« ist in diesem Jahr der dritte Unfall, wobei jedesmal mehrere Personen den Tod fanden. Zweimal ist die Schuld den großen Schiffen zugesprochen, ohne dass die für den Unfall ernstlich bestraft wurden.
Alle in der Schleppschifffahrt tätigen Personen haben ein Interesse daran, dass diese Fälle restlos aufgeklärt und die Schuldigen bestraft werden bzw. ihnen das Handwerk gelegt wird. Es geht nicht an, dass man die Schleppdampfer auf den Revieren als vogelfrei betrachtet, Schiff und Menschen einfach in den Grund bohrt, ohne dafür zur Verantwortung gezogen und bestraft zu werden.
Der Dienst auf dem Schleppdampfern ist infolge der langen und unregelmäßigen Dienstzeit an sich schon schwerer, er darf durch Unvorsichtigkeit anderer nicht auch noch zu den lebensgefährlichsten in der Schifffahrt werden. Es muss unbedingt verlangt werden, dass sich hierfür maßgebenden Instanzen und Behörden mit den Berufgruppen der Lotsen, Groß- und Schleppschifffahrt ins Einvernehmen setzen und Verhaltensmaßregeln ausarbeiten, die eine Wiederholung dieser furchtbaren Unglücksfälle unmöglich machen.
(Zitat Ende)



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Das Copyright für die Texte und die Fotos liegt bei Ch. Hamann/ Cuxhaven.

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