Am 28. März 1915 traf das deutsche U-Boot U 28 unter Kapitänleutnant Georg Freiherr v. Forstner vor dem St. Georgs-Kanal auf das britische Kombischiff FALABA und versenkte es durch Torpedoschuss. Dabei starben 101 Menschen. [1] So oder ähnlich hätte die kurze Beschreibung des Falles wahrscheinlich gelautet, wenn er sich nur zwei Jahre später, nach neuerlichem Beginn des uneingeschränkten U-Bootskrieges abgespielt hätte. 1915, zu Beginn der ersten Kampagne, lagen die Dinge jedoch noch anders: Die propagandistische Vermarktung der Versenkung der FALABA war, nach den „belgischen Massakern“, der zweite offensichtliche Versuch der Briten, die USA in den Krieg zu ziehen, wurde dann allerdings rasch überschattet von den Ereignissen um die LUSITANIA nur wenige Wochen später. Er war dennoch insofern von einem gewissen Erfolg gekrönt, da die britische „5 Minuten“-Version bis zum heutigen Tage als die zutreffende gehandelt wird. [2] Im Kern ging/geht es dabei darum, ob den Passagieren und der Besatzung seitens des Kommandanten des U-Bootes nur maximal fünf Minuten Zeit zum Verlassen des Schiffes gegeben worden waren oder ob eher die offizielle Aussage der deutschen Seite – über eine Fristgewährung von mehr als einer halben Stunde bis zur abschließenden Torpedierung – die zutreffende ist. Ob und inwieweit die Versenkung mit dem geltenden Seerecht im Kriege in Einklang stand oder nicht, soll nur kurz angerissen werden, primär aber nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen sein.
Die FALABA während ihrer Probefahrt, ein – nach heutigen Begriffen – eher kleiner „Dampfer“.
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Die FALABA war ein mit 4.806/3.011 Registertons vermessenes Schiff, 1906 für die Elder Line GmbH auf der Werft von Alexander Stephens in Glasgow erbaut. Gemäß ihres „Passenger-certificates“ vom 22. Dezember 1914 durfte sie neben ihrer Stückgutfracht in Summe 282 Personen an Bord mitführen, davon 190 Passagiere und 92 Personen als Crew. Auf der betreffenden Reise befanden sich insgesamt 95 Crewmitglieder an Bord, von denen 43 bereits auf der vorhergehenden Reise an Bord gewesen waren: Neben dem Kapitän bestand die Besatzung aus weiteren fünf nautischen Offizieren, 12 Decksleuten, einem Leitenden und weiteren 5 Ingenieuren/Maschinisten, 14 Heizern und 7 Trimmern sowie 47 Männern und Frauen als Zahlmeistern, Köchen und allgemeinem Servicepersonal. Zusätzlich zählten noch der von der Marconi-Gesellschaft angestellte Funker und seine zwei Hilfskräfte zur Crew. Von den 147 Reisenden (85 Männern und 7 Frauen in der ersten, 55 Männern in der zweiten Klasse) waren 144 britischer Nationalität, zusätzlich je ein US-Bürger, ein Grieche sowie ein Däne. Somit befanden sich 242 Personen auf der FALABA, von denen 101/104 ihr Leben verloren, darunter der US-Bürger [3] und der Däne.
Bevor wir mit der Schilderung und Analyse der Vorgänge um den Verlust des Schiffes anhand der stellenweise recht überraschenden Befragungsprotokolle des seitens des „Boards of Trade“ – also des Handelsministeriums – eingesetzten Untersuchungsausschusses beginnen, seien einleitend zwei offizielle Quellen zur Vorstellung des Ablaufes aus deutscher und britischer Sicht herangezogen: Das KTB von U 28 sowie die spätere Einschätzung des Falles, aus der britischen Dienstvorschrift „Naval Staff Monographs Vol. XIII – Home Waters Part IV“, London, aus dem Jahre 1925. Dabei war das KTB von U 28 zumindest für die weitere Dauer des Krieges als geheim eingestuft, konnte also ebenso wenig zur Bildung der öffentlichen Meinung herangezogen werden, wie die späteren Ausführungen des britischen Marinestabes. Letztere reflektieren allerdings fraglos die offizielle Meinung der Marine zu dem Fall. Der offizielle Untersuchungsbericht des „Board of Trade“ wurde hingegen im Juli 1915 öffentlich publiziert. Warum er seitens der deutschen Seite schließlich nicht zur Rechtfertigung herangezogen worden ist – es darf als sicher davon ausgegangen werden, dass er über dunkle Kanäle auch seinen Weg nach Deutschland gefunden hat –, lässt sich wahrscheinlich unter das alles überschattende Schlagwort „LUSITANIA“ fassen.[4]
Der betreffende Eintrag im Kriegstagebuch von S.M. U 28 vom 28. März 1915 bezüglich der Versenkung der FALABA lautet folgendermaßen:
„[Wind N.O. 7. Starke Dünung, klar] Recht voraus ein großer Dampfer in Sicht. Getaucht und ↓ Angriff angesetzt. Bei noch laufender ziemlich hoher See kam der gesichtete Dampfer erst wieder in Sicht, als er ungefähr 5 sm querab war. Unterwasserangriff daher aussichtslos. [11.10 Uhr] Mit Preßluft ausgeblasen und mit A.K. ↑ hinterhergelaufen. Erst auf 2 – 3 sm Abstand bemerkt mich der Dampfer und versucht zu entkommen. Ich komme ihm aber auf und fordere ihn auf zum sofortigen Stoppen unter Schußandrohung.
[11.30 Uhr] Nach Schießen des ersten roten Sternes, die weißen Sterne waren mir inzwischen knapp geworden, stoppte der Dampfer und meldete dieses durch Signal. Ich legte mich längsseits zu ihm in genügendem Abstande, um nicht durch Handwaffenfeuer gestört zu werden. Inzwischen hatte ich ziemlich sicher ausmachen können, daß der Dampfer keine Geschütze an Bord hatte. Aus Rücksicht hierauf war ich bis zum sicheren Ausmachen dieser Tatsache in höchstmöglicher Tauchbereitschaft geblieben. Nur hatte ich 2 angebundene Leute an die Kanone gestellt, über die die Seen fortgesetzt hinweggingen, um zu drohen. Diesem Umstanden glaube ich es mit zu verdanken zu haben, daß der Dampfer so bald meinem Signal Folge leistete.
Sobald der Dampfer gestoppt hatte, befahl ich durch Signal, sofort das Schiff zu verlassen. Durch Sprachrohr verständigte ich den Kapitän davon, daß ich ihm 10 Minuten Zeit hierzu gäbe. Mit dem Moment des Heißens des Signals ging auf dem Dampfer eine wilde Unordnung vor sich. Schon als ich in die Nähe kam hatten viele Leute an Deck Schwimmwesten um. An Bb. Seite wurde sofort ein Seitenboot herunter geschmissen. Mehrere Leute waren schon im Boot gewesen, die vordere Talje hakte. Viel Bootsinventar und andere Gegenstände fielen über Bord. Andere Boote kamen sehr schnell zu Wasser, schlugen aber bald voll, blieben aber schwimmen. Es machte im Großen und Ganzen den Eindruck, als ob Teile der Besatzung sofort einige bevorzugte Boote besetzten, diese kamen schnell und gut zu Wasser. Die Passagiere hingegen rannten hilflos auf dem Schiff umher, um sich ein Boot zu suchen. Fraglos war keine Bootsverteilung der Passagiere vorher angeordnet worden. Aus Rücksicht auf die Passagiere sah ich auch vom Innehalten der gestellten Frist ab und wartete 20 Minuten, bevor ich einen Torpedo fertig machte; da ich dann noch Leute an Bord sah, weitere 3 Minuten.
[11.53 Uhr] Nach 23 Minuten von der mündlich gestellten und verstrichenen Frist von 10 Minuten, vom Heißen des Flaggensignals war noch mehr Zeit verflossen, gab ich dann mit 3 m Tiefeneinstellung einen Hecktorpedoschuß – G. Torpedo – auf den Dampfer ab, da mir Rauchwolken schnell näher kommend, im Turm wo ich am Sehrohr stand, gemeldet wurden.
Der Torpedo traf im Achterschiff; ein im letzten Augenblick bemanntes Boot, das ich vorher nicht bemerkt hatte, kam mit den Leuten von oben. Das Schiff legte sich sofort nach St.B. achtern über und versackte in kaum 10 Minuten.
[12.05 Uhr] Auf der Brücke hatte der Kapitän ausgehalten und holte noch selbst mit der Dampfpfeife einen benachbarten Fischdampfer herbei und setzte die internationale Flagge V. – K.M. Signalflagge „A“ – wahrscheinlich ein verabredetes engl. Notsignal, da es im internationalen Signalbuch nicht zu finden ist. Der Fischdampfer beteiligte sich dann an den Rettungsarbeiten. Ich selbst konnte dies leider nicht, da der Dampfer F.T. hatte und ich auf Grund der nahenden Rauchwolken herbeigerufene feindliche schnelle Fahrzeuge erwarten mußte. Der Dampfer war der Dampfer FALABA aus Liverpool, meiner Schätzung nach befanden sich mindestens 3 – 400 Personen an Bord, Größe ca. 12 – 15.000 t. Unentschuldbar war das mangelnde Funktionieren der Bootsrolle, besonders unter den obwaltenden Umständen, und das fraglos minderwertige Benehmen eines großen Teiles der Besatzung. Anzuerkennen das Benehmen des Kapitäns, der nach altem Seemannsbrauch, scheinbar mit seinem Schiff unterging. Da ich nunmehr nur noch einen Bug- und einen Hecktorpedo hatte und ich einen ungesehenen ↓ Angriff nach vollständigem Ausfall des hinteren langen Sehrohres bei einigermaßen Seegang nicht mehr fahren konnte, sehe ich von einem Vorstoß in die Irische See ab und trete den Rückmarsch an, besonders auch mit aus Rücksicht darauf, daß ich von morgen ab nach Meldung des Falles FALABA auf starke feindliche Gegenwehr durch leichte feindliche Streitkräfte rechnen zu müssen glaubte.“
Auszug aus der deutschen Quadratkarte, mit dem markierten Schauplatz des Geschehens, westlich von Lands‘ End.
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Soweit der vergleichsweise ausführliche Bericht Forstners, der sich – wie unten zu schildern sein wird – sehr gut mit der Essenz der Zeugenaussagen deckt und teilweise wörtlich in den 1933 erschienenen Band des Seekriegswerkes „Der Krieg zur See – Der Handelskrieg mit U-Booten Bd. 2“ übernommen wurde. Deutlich wird hier auch, dass die deutsche Seite mittels der Informationen aus englischen Zeitungen vom Mai 1915 über die getätigten Aussagen von Crew und Passagieren nicht im Unklaren war, beispielsweise bezüglich der 13 t Munition in den Laderäumen des Schiffes. Der abschließenden Sentenz im Seekriegswerk, „(F)ür die deutsche Seekriegsgeschichte liegt aller Anlaß vor, die so erwiesenen Begleitumstände der Vergessenheit zu entziehen“, kann jetzt, allerdings erst 90 Jahre nach ihrer Niederschrift, entsprochen werden.
Während das britische „Admiralstabswerk“, Corbetts Naval Operations vom Juli 1921, interessanterweise nur ganze zehn Zeilen für das Ereignis aufwendet, fasste zehn Jahre nach dem Ereignis selbst und acht Jahre vor der Veröffentlichung des betreffenden Teils des deutschen Seekriegswerkes die folgende [übersetzte] Darstellung in “Home Waters – Part IV – U 28 in the South West Approaches, March 27-31“ die britische Sicht zusammen:
„[...] ein noch schlimmerer Akt von Gewalttätigkeit stand bevor. Ein Elder Liner, die FALABA, auf der Reise von Liverpool zur westafrikanischen Küste befindlich, folgte den Anweisungen der Admiralty, sich weitab der üblichen Fahrtroute zu halten, als er kurz nach Mittag des 28. März ein U-Boot sichtete und nach Abgabe einer entsprechenden Funkmeldung versuchte, zu entkommen. Der Feind kam ihm auf und forderte ihn zum Stoppen auf. Angesichts der Zwecklosigkeit des Versuchs sein Schiff zu retten folgte der Kapitän der Anordnung. Fünf Minuten später, bevor irgendjemand das Schiff überhaupt verlassen hatte, schoss das U-Boot einen Torpedo und die FALABA sank innerhalb von 8 Minuten. An Bord befand sich eine Mannschaft von 95 Personen und 147 Passagieren. Von diesen ertranken der Kapitän, 46 Personen der Mannschaft sowie 57 Passagiere; Dies spielte sich ab, so wird berichtet, unter den Schmährufen und dem Gelächter der entzückten U-Boots-Besatzung. Dieses Abschlachten spielte sich halbwegs zwischen Queenstown und Pembroke ab. Beides waren Marinestützpunkte die den Notruf der FALABA aufgenommen hatten. Aus Queenstown konnte kein Schiff gestellt werden, doch die LIFFEY, welche seit dem vorigen Morgen in Pembroke lag, wurde zur Untergangsstelle entsandt, fand aber nur noch den Drifter EILEEN EMMA mit den Überlebenden des gesunkenen Schiffes vor.
Überprüfen wir also im Folgenden diese – aber auch Forstners – Darstellung auf ihren Gehalt, [5] zunächst anhand der Aussagen während der förmlichen Untersuchung des Falles vor dem seitens des „Board of Trade“ bestellten „Wreck Commissioner of the United Kingdom“, dem Ehrenwerten Lord Mersey. Dieser war so etwas wie eine nationale Berühmtheit geworden, hatte er doch auch die Untersuchungen bezüglich der Verluste der TITANIC und der EMPRESS OF IRELAND geleitet, und nicht einmal einen Monat später sollten er und seine Beisitzer, Admiral Inglefield und Lieutenant Commander Hearn für die Marine, die Kapitäne Davies und Spedding für die Handelsschifffahrt, den entsprechenden Anhörungen zum Fall der LUSITANIA vorsitzen. Im Gegensatz zu diesem Fall scheint es aber bei der FALABA keine externen Anweisungen seitens der Admiralty hinsichtlich des gewünschten Ausgangs der Untersuchung gegeben zu haben; zumindest legt die Schilderung und vergleichsweise unvoreingenommene Anhörung der „Tatsachen“ durch den Ausschuss dies nahe. Der Abschlußbericht hingegen – erst nach der Untersuchung des LUSITANIA-Falles verfasst – ist dann eine bemerkenswerte Auslegung Lord Merseys der Summe der Erkenntnisse aus den Zeugenaussagen.
Der Untersuchungsausschuss selbst konstituierte sich am 20 Mai 1915 in der Caxton Hall in Westminster. Bereits die Präliminarien sind aufschlussreich zu lesen; so kommen einem beispielsweise die genannten Eigentumsverhältnisse des Schiffes seltsam modern vor. Eigner des Schiffes war demnach die Elder Line GmbH, gemanagt wurde es von der Elder, Dempster & Co. GmbH. Sogar Lord Mersey fühlte sich allerdings bemüßigt nachzufragen: „Letztere sind also nicht die Eigner?“ Der Rechtsanwalt Butler Aspinall – auch ihm begegnet man bei der LUSITANIA wieder – machte deutlich: „Sie betreiben es und besitzen einige Anteile.“ Somit waren auch für Mersey die Verhältnisse hinreichend geklärt: „Die GmbH betreibt das Schiff also und die GmbH sowie Elder, Dempster & Co. sind, gemeinsam mit anderen, Anteilseigner“, was de facto noch immer nicht ganz korrekt war. Ihm wurde aber nicht mehr widersprochen.
Als nächster hatte der Staatsanwalt Sir Stanley O. Buckmaster das Wort, der selbstverständlich mit starken Eindrücken und Formulierungen operieren musste. Normalerweise, so seine einleitenden Sentenzen, die bislang bekannten Fakten zusammenfassend, behandele man während derartiger Sitzungen Seeunfälle zweifelhafter Ursache, wo etwaiges Verschulden mühsam herausgearbeitet werden müsse, nicht jedoch in diesem Fall:
[...] „Es gibt keinen Zweifel daran wie dieses unglückliche Schiff sein Ende fand. Als ein wehrloses, unbewaffnetes, sich defensiv verhaltendes und Passagiere beförderndes Schiff wurde sie am helllichten Tag von einem Torpedo getroffen, abgefeuert von einem deutschen U-Boot aus nicht einmal 90 m Entfernung. Mylord, ich versuche es nicht einmal, mit Worten den Effekt einer solchen Feststellung abzuschwächen. Es gibt Taten, die sprechen lauter als jede Sprache und die Umstände, die unleugbaren, nicht diskutierbaren Umstände unter denen das Schiff seine Laufbahn beendete, werden – stärker als es jedes Wort meinerseits vermag – die Schande und Ehrlosigkeit jener darstellen, die es zerstörten.
Die unverzichtbaren Begleitumstände, die ich genötigt bin Eurer Lordschaft zu Beginn vorzulegen, werden von mir so kurz wie möglich gehalten, da ich nicht darüber im Zweifel bin, dass der Kernpunkt, auf den diese Anhörung letztlich hinaus laufen wird, sich als simpel erweist. [...]
Als zu Recht besonders relevant für die Anhörung wurden seitens des Staatsanwaltes die Kapazität und Aufstellung der Rettungsboote angesehen. Demnach musste die FALABA per Gesetz in Abhängigkeit von ihrer Länge sieben Boote I. Klasse mit sich führen, deren Gesamtkapazität 282 Personen – also die maximal zulässige Summe von Crew und Passagieren – nicht unterschreiten durfte. Hier gab es allerdings erste Abweichungen von den Vorschriften, denn nur vier der Boote galten als echte Rettungsboote, mit einer individuellen Kapazität von 49 Personen: das erste und das zweite Boot von vorn gezählt an Steuerbord, in der üblichen Nummerierung also die Boote „1“ und „3“ sowie das erste und das zweite Boot an Backbord, entsprechend den Nummern „2“ und „4“. Die in Konsequenz ihrer Aufstellung bezeichneten Boote „5“, „6“ und „7“ waren sogenannte Brandungsboote, zum Anlanden vornehmlich des Gepäcks der Passagiere an den Stränden der offenen Häfen Westafrikas. Jedes von ihnen konnte 28 Personen zuladen, erfüllte allem Anschein nach aber nicht die Ausrüstungskriterien, die an ein Rettungsboot gestellt werden. Zusätzlich befand sich – zunächst als Boot „8“ bezeichnet – noch eine Gig des Kapitäns an Bord, die für eine Aufnahme von „ungefähr 30 Personen“ gut gewesen sein soll, sicherlich aber ebenfalls nicht den o.g. Kriterien entsprach. Vordergründig betrachtet betrug die Gesamtkapazität also hinreichend 310 Personen, gegenüber den 242 tatsächlich an Bord befindlichen.
Interessant an dieser Zeichnung ist die Aufstellung der Boote. Wenngleich durch Fotos so belegt, widerspricht diese der während der Verhandlung genannten, nachdem die beiden größeren Rettungsboote pro Seite die jeweils vorderen waren.
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Mit der Verlesung der nächsten Punkte deutete Buckmaster dann aber bereits in diesem frühen Stadium an, in welch gefährliche Richtung die Anhörung gehen könne (er muss dazu bereits über vorläufige kritische Aussagen Beteiligter verfügt haben) und versuchte den erwarteten Eindrücken gegenzusteuern: Es gäbe wohl einige Unklarheiten hinsichtlich der Bootsrolle, die zum Zeitpunkt des Unterganges noch nicht ausgefertigt gewesen sei, aber zu diesem Zweck hätte die Crew sich ja entsprechend der vorhandenen Rolle der vorhergehenden Reise verteilen können. [Nur zur Erinnerung: 55% der Crew waren neu an Bord.] Noch erstaunlicher die nachfolgende Feststellung hinsichtlich der anscheinend ungenügenden Unterrichtung der Passagiere für das Verhalten im Notfall: Nach seinen, Staatsanwalt Buckmasters, Erkenntnissen wäre eine Vorab erfolgte Instruktion der Passagiere kontraproduktiv, weil ja jederzeit eine nicht vorhergesehene Lage eintreten könne, welche die Passagiere dann verunsichere und kopflos werden lasse. [!]
Und in diesem Stil ging es weiter: Gerüchten zufolge hätte auch die Ausrüstung und der Zustand der Boote zu wünschen übrig gelassen. Er persönlich fände dies kaum glaublich, könne doch beispielsweise ein fehlender Leckstopfen eines Bootes leicht durch ein zusammengedrehtes Taschentuch ersetzt werden. Anschließend kam er auf die Vorgänge des Tages zu sprechen, nach denen also von der FALABA irgendwann zwischen 11.30 und 11.40 Uhr des 28. ein U-Boot gesichtet worden sei, welches nach Meinung vieler Beobachter ein „White Ensign“ gesetzt gehabt hätte. Erst auf eine Entfernung von 270 Metern wäre dies schließlich gegen die deutsche Kriegsflagge ausgetauscht worden. Das U-Boot näherte sich noch bis auf 90 m an der Backbordseite des Schiffes und gab per Megaphon letztmalig die Anweisung zu stoppen. In Befolgung dieses Befehls langsam auslaufend blieb die FALABA schließlich quer zum Wind liegen – dabei aber nur unwesentlich von ihrem zuletzt gesteuerten Kurs abgewichen sei. Von jetzt an geriet der Staatsanwalt insofern in Schwierigkeiten, als er nicht umhin konnte, das anschließende Desaster schildern zu müssen, ohne bislang eine schlüssige Entschuldigung gefunden zu haben: „Was dann geschah ist ein Fall, für den es zwar eine große Anzahl Beweise gibt, ich aber nicht sagen kann, wie viele davon tatsächlich scharf kontroverse Fragen aufwerfen werden.“ Er beließ es bei der Schilderung der Fakten.
Demnach sei Boot 1 nach der Order zum Verlassen des Schiffes ordnungsgemäß zum Einbootungsdeck – dem Salondeck – gefiert worden, dann aber, mit mehr als 50 Personen besetzt, wäre dem Mann am vorderen Fall der Läufer entglitten und das Boot mit dem Steven voran in die See gestürzt, wo es kenterte und seine „Fracht“ in die See entlassen habe. Dasselbe sei mit Boot 2 geschehen, wofür es allerdings noch keine hinreichenden Beweise gäbe. Angeblich habe dessen Verlust auch mit einer strukturellen Schwäche des Bootsholzes zu tun gehabt. Jedenfalls konnte es anschließend nicht mehr zur Rettung von Personen herangezogen werden. Die Boote 3 und 4 wiederum seien wohl sicher zu Wasser gekommen, letzteres mit 40 Personen an Bord. Gleiches könne man sagen von Boot 6, besetzt mit 20 Personen. Es blieb demnach nur, die Schicksale der Boote 5 und 7 sowie der Gig zu klären. Die Gig wäre, mit etwa 30 Personen besetzt, wohl davongekommen, wohingegen für 5 und 7 eine gesonderte Betrachtung notwendig sei. Ausgerechnet den Zeitpunkt deren Aussetzens habe sich das deutsche Boot dazu ausgesucht – trotz der von den vorherigen Unglücken im Wasser treibenden Personen –, durch diese hindurch einen Torpedo in die Stb-Seite der FALABA zu schießen. Durch den entstehenden Schock seien die beiden Boote von oben gekommen und deren Insassen ebenfalls ins Wasser geschleudert worden.
Die Vorgänge wurden durch einen namentlich nicht genannten Passagier auf einer Reihe Fotos festgehalten, welche anschließend sogar das etwa einstündige Bad im Seewasser überstanden, und bereits am 31. März im „Daily Mirror“ veröffentlich worden sind (dementsprechend auch die Qualität ihrer Wiedergabe) – nicht ohne den Hinweis der Zeitung, der Leser möge doch ständig eine Kamera bereit haben und die Bilder an den „Mirror“ senden; man zahle Höchstpreise dafür! Hier kommt U 28 offensichtlich zur Kontaktaufnahme in die Nähe, wobei der Untertitel lautet, an Deck würde man die Meute der johlenden Besatzungsmitglieder erkennen können.
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„Mylord, dieser Schilderung des Desasters ist wenig hinzuzufügen. Die Beweislage erscheint hinreichend deutlich und schlüssig, dass die Besatzung des U-Bootes mit herzloser und unmenschlicher Brutalität vorging, wenngleich man ihr immerhin konzedieren muss, dass ein U-Boot, wenn schon eine solche Tat begangen worden ist und Hunderte Menschen im Wasser um ihr Leben kämpfen, nicht besonders gut dazu geeignet ist diese alle aufzunehmen. Allerdings ist nicht einmal der Versuch gemacht worden auch nur einen einzelnen aufzunehmen und diese unglücklichen Menschen ertranken in der Anwesenheit des Bootes; wobei einige der Passagiere noch hinzufügten, dass ihre erfolglosen und verzweifelten Bemühungen nur zu Kundgebungen der Aufregung und der Freude der Zuschauer auf dem U-Boot geführt hätten.“
Nach schließenden Bemerkungen hinsichtlich des vergleichsweise glücklichen Verlaufs des Rettungswerkes und der tatsächlichen Zahl der Verluste [101!] legte Buckmaster endlich eine Liste von 25 Fragen vor, deren Beantwortung den Kern der Zeugenbefragungen und schließlich die offizielle Aussage hinsichtlich des Verlustes des Schiffes bilden sollten. Diese Liste einschließlich der entwickelten Antworten und Schlussfolgerungen wird am Ende dieses Beitrages in Gänze zitiert werden, da durch sie zum einen gut der getriebene Aufwand bei der Bearbeitung, zum anderen aber auch die Gewichtung dieser Fragen und ihrer Antworten deutlich wird:
Nach Verlesung dieser Kernfragen konnte die Anhörung beginnen. Sie sollte sich – präzise protokolliert – zu einer Anzahl von insgesamt 3.584 gestellten Fragen an die einzelnen Zeugen und deren Antworten aufsummieren. Es geht über den Rahmen dieser Arbeit hinaus, jedem einzelnen dieser Dialoge nachzugehen, zumal rasch die altbekannte Weisheit deutlich wird, dass bereits zwei individuelle Schilderungen des identischen Vorgangs deutlich unterschiedlich klingen können. Mit großer Vorsicht sind sicherlich die getätigten Aussagen hinsichtlich der jeweiligen Entfernungen zu betrachten. Entfernungsschätzen auf See gehört mangels geeigneter Referenzpunkte zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt und somit sind zumindest die Angaben von unbefahrenen Personen als kaum zuverlässig anzusehen. Als Beispiel sei nur die letztlich genannte Entfernung für den finalen Torpedoschuss angeführt, die – was der Ausschuss damals nicht wissen konnte – durch ein Foto belegt ist. Um hier ein wenig vorzugreifen – der Abschlussbericht folgte hier den anfänglichen Einschätzungen des Staatsanwaltes –, es wurde eine Schussweite von nicht mehr als 90 m angeführt, was gleichzeitig impliziert, Forstner hätte alle Vorgänge an Bord im Detail erkennen können und müssen.
Dem stehen allerdings mehrere Einschränkungen gegenüber. Zum einen ist da die Sicherheitsdistanz des Torpedos, bevor dieser überhaupt scharf wird. Da keine genauen Daten zum verwendeten Torpedotyp und –zünder vorliegen, bleibt an dieser Stelle eine Unklarheit, denn diese Sicherheitszone konnte bis zu 150 m betragen, allerdings sind auch geringere Distanzen überliefert. Bekannt ist allerdings, dass sich eine sichere Tiefenhaltung deutscher Torpedos ebenfalls erst ab dieser Distanz einstellte. Warum sollte Forstner aber ohne Not dieses Wissen ignorieren und zu nahe herangehen? Und schließlich ist da das bekannte Foto des Torpedotreffers, von dem wir annehmen dürfen, es handele sich nicht um eine Fotomontage: Bei aller gebotenen Vorsicht bei Auswertung eines Fotos hinsichtlich dargestellter Distanzen kann man - nach Anwendung der Triangulationsmethode - davon ausgehen, dass die Entfernung zum Zeitpunkt des Schusses etwa 240 m betrug.
Das wohlbekannte Foto des Torpedotreffers auf der 116 Meter langen FALABA. Die Entfernung zwischen Boot und Schiff beträgt offensichtlich deutlich mehr als die behaupteten 90 m, die nur wenig mehr als eine Länge des Bootes gewesen wären. Blickrichtung ist hier ziemlich genau West.
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Eine zweite bedeutende Unschärfe bleibt hinsichtlich der Uhrzeiten bestehen, die auch bis zum Abschlussbericht letztlich nicht in Gänze aufgeklärt werden konnte. Wenn man es sich vermeintlich einfach machen will, exzerpiert man die Zeiten aus Forstners KTB (s.o.):
11.10 Uhr – Auftauchen,
11.30 Uhr – mündlicher Befehl zum Stoppen unter Schussandrohung,
11.53 Uhr – Torpedoschuss.
Die größere Problematik liegt hingegen in den auf der FALABA genommenen Zeiten. Diese sind nämlich mitnichten – wie man vermuten könnte – einheitlich auf die zum Zeitpunkt des Auslaufens verwendete GMT bezogen, sondern es wurde auch noch eine divergierende Bordzeit verwendet. Offensichtlich gab es eine Anweisung auf britischen Passagierschiffen, die Uhren jeweils ausgerechnet um die hier behandelte Mittagsstunde der jeweiligen geographischen Länge anzupassen. Mit dem Prozedere wurde allerdings bereits nach dem Frühstück begonnen und betraf zumindest die Uhr im Kartenhaus und jene in den Salons. Noch nicht geändert hingegen wurden wohl u.a. die Uhren in der Maschine und im Funkraum, letztere würde allerdings, nach Aussage des Funkers, erst dann umgestellt, wenn mit keiner Station auf dem Mutterland mehr Kontakt bestünde. Diese jüngste Änderung/Anpassung sollte entsprechend der Gepflogenheiten erst um 12 Uhr offiziell an Bord bekannt gegeben werden. Der Betrag der Anpassung betrug nach Aussage des Ersten Offiziers [I.O.] Walter Baxter „etwa 35 Minuten“.
Betrachten wir daraufhin Auszüge aus den Aussagen der diesbezüglich beiden wichtigsten überlebenden Zeugen – dem I.O. und dem „Marconi-Operator“ Edwin Taylor – bereits einmal im Vorwege: Der I.O. gab zu Protokoll, er wäre ungefähr um 11.40 Uhr auf ein U-Boot aufmerksam gemacht worden, welches sich, ungefähr 3 Meilen entfernt – bei eigenem Kurs von S 36 W (d.h. Kompaßkurs 216 Grad)–, zwei Strich achterlicher als dwars an Steuerbord befunden hätte. Nachdem in der Zwischenzeit ein Flaggensignal des Bootes zum Stoppen ausgemacht aber ignoriert worden sei, habe das Boot dann ungefähr um 12.00 Uhr verbal das Signal zum Stoppen unter Schussandrohung herüber gerufen. Zwischen 12.05 und 12.11 sei dann bereits der Torpedo eingeschlagen. Die Aussage des Funkers hingegen lautete folgendermaßen: Um 12.25 Uhr [GMT] sei der I.O. in seine mittschiffs an Deck stehende „Bude“ gekommen, mit dem Auftrag das Signal: „Submarine overhauling us. Flying British flag. No. 51.32 6.36’“ abzusetzen. Nach Abgabe und Quittierung des Spruches durch die Station „GLD“ [Lands End] wäre dann etwa eine Viertelstunde vergangen, bis er den Einschlag des Torpedos gehört hätte. Bei weiterer Befragung stellte sich dann allerdings heraus, dass er, nach Bestätigung der Abgabe des ersten Spruches auf der Brücke und mithören des verbalen Befehls seitens des U-Bootes, auf eigene Initiative ungefähr um 12.35 Uhr noch einen zweiten Spruch abgegeben hatte: „Position 51° 32' N. 6° 36' W. torpedo, going boats.“ Weitere 10 Minuten später hätte er dann den Torpedo gehört. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich allerdings nicht mehr in der Funkbude, sondern bereits im Wasser mitsamt den Trümmern eines der Boote. Auf die bis dahin verstrichene Zeit wurde allerdings in der Anhörung nicht weiter eingegangen.
Nimmt man also nur diese drei Zeiten, so ist der Vergleich zwischen Funker und Forstner am einfachsten zu bewerkstelligen, da zwischen ihnen – im Rahmen der üblichen Gangungenauigkeiten – nur eine Stunde Differenz bestehen sollte. Die seitens des I.O. benutzte „neue Bordzeit“ hingegen [~ 35 Minuten von GMT abgezogen] bedarf zumindest einer vergleichenden Darstellung:
[alle Zeiten auf GMT umgerechnet:] | Forstner | Baxter | Taylor |
Auftauchen/Sichtung | 12.10 | 12.15 | - |
1. Funkspruch | - | - | 12.25 |
Aufforderung zum Stoppen | 12.30 | 12.35 | 12.25+x |
2. Funkspruch | - | - | 12.35 |
Torpedoschuss | 12.53 | 12.40 – 12.46 | ~ 12.45 |
Aufgrund der Tatsache, dass diese korrigierten Zeiten vergleichsweise gut harmonieren, lassen wir die Frage nach der tatsächlichen deutschen Bordzeit im Raum stehen. Eigentlich bestand auch auf deutschen Kriegsschiffen die Anweisung, die Bordzeit der tatsächlichen Ortszeit anzupassen. Ob aber Forstner dies in seinem Bericht stillschweigend korrigiert hat oder aber die Anweisung auf U-Booten, die es ja vergleichsweise schwerer hatten, einen astronomischen Ort zu nehmen, außer Kraft gesetzt worden war – wir wissen es nicht! Auf die Frage der Zeiten wird noch einmal zurückzukommen sein, jetzt behandeln wir sie allerdings zunächst als eine Präliminarie zu den Ereignissen, die sich an Bord abspielten. Vor der Befragung der Beteiligten stand allerdings noch eine wichtige Anhörung, nämlich die des Surveyors (Schiffsbesichtigers) des Handelsministeriums, Thomas Miller, der die FALABA im Dezember 1914 zwecks Erneuerung der Papiere nach den ausgegebenen Regeln des Ministeriums besichtigt hatte. Seine Aussage sollte eine erste Klarheit über den Allgemeinzustand von Schiff und Ausrüstung bringen. Wichtig im Sinne der später folgenden Aussagen über den Zustand der Ausrüstung des Schiffes seitens der Passagiere sind folgende im Auszug wiedergegebene Dialoge:
„ (...)
- Haben Sie die Boote inspiziert? – Ja, ich inspizierte die Boote am 21. Dezember.
- Wurden die Boote während der Inspektion ausgeschwungen und weggefiert? – Ja.
- In welchem Zustand befanden sich die Daviteinrichtungen? – In gutem Zustand.
- Wie gut funktionierten sie? – Sie funktionierten zur vollen Zufriedenheit.
- Wie war der bauliche Zustand der Boote? Ich meine nicht ihre konstruktiven Details; Ich meine, ob sie solide gebaut waren? – Sie waren solide gebaut und befanden sich in hervorragendem Zustand.
- Als sie sich im Wasser befanden, waren sie dicht? – Ja, absolut wasserdicht.
- Entsprach der Servicezustand aller Rettungsboote den Regeln für Rettungseinrichtungen? – Ja.
(...)“
Nach dieser Aussage konnten also hinsichtlich des Allgemeinzustands von Schiff und Ausrüstung eigentlich keinerlei Zweifel bei der Untersuchungskommission bestehen – um so größer daher später die Überraschungen. Kommen wir jetzt zum Überblick über die individuell getätigten Aussagen:
Hinsichtlich des Verhaltens der Schiffsführung bleiben wir im Wesentlichen bei den Aussagen des uns bereits bekannten I. O. sowie ergänzend dazu denen des Rudergängers Robert Harrison. Baxter war seit 1905 bei der Reederei angestellt, seit 1908 diente er als I.O. Neben ihm befanden sich – wie oben erwähnt – noch drei weitere nautische Offiziere an Bord, deren Aussagen allerdings nur Details beleuchten, die für den Ablauf des Geschehens nicht zwingend wiedergegeben werden müssen. Die FALABA lief bei dem vorherrschenden leichten Seegang nach seinen Aussagen 13–14 kn. Der aus dem Kartenhaus kommende Kapitän, Frederick Davis, ließ sofort nach der Sichtung von U 28 den Kurs mit dem Befehl „Hart Steuerbord“ [britische Befehlsweise] dergestalt ändern, dass das Boot recht achteraus genommen wurde. Das entsprach so den aktuellen Anweisungen der Admiralität. Außerdem befahl er der Maschine nochmals „Voll voraus“, obwohl diese bereits den entsprechenden Telegraphenbefehl permanent anliegen hatte. Zusätzlich wurde der 3. Offizier Harry Pengilly in den Maschinenraum geschickt, um, mit Hinweis auf die bedrohliche Situation, das Personal zu noch mehr Anstrengung aufzufordern. Letztlich half aber auch das nicht mehr. Mit etwa 3 kn Fahrtüberschuss auf Seiten des U-Bootes war diesem bei hellem Tageslicht nicht zu entkommen. Nach Aussage des Rudergängers setzte U 28 nacheinander sogar drei Flaggensignale: Zunächst „Stoppen Sie sofort!“, danach – als offensichtlich nichts geschah – „Stop oder ich schieße!“ [ohne dies dann in die Tat umgesetzt zu haben], und schließlich „Verlassen Sie umgehend das Schiff!“ Letzteres sei allerdings erst erfolgt, nachdem das Schiff bereits gestoppt hatte [es ist nicht abschließend zu klären, ob letzteres Signal tatsächlich als solches oder nur verbal übermittelt worden ist]. Anschließend habe es zwischen Boot und Dampfer noch verbale Kommunikation gegeben, deren Worte er allerdings nicht mehr verstanden hätte. Nach der Uhr im Ruderhaus wäre es dann 12.20 Uhr gewesen, als der Kapitän zu ihm gesagt habe, es gäbe für ihn am Ruder nichts mehr zu tun, er solle doch bei den Booten helfen.
Grosse Verwirrung herrschte anscheinend an Bord der FALABA von Beginn an – und nicht nur auf der Brücke – hinsichtlich der gezeigten Flagge des U-Bootes. Da jene der Kaiserlichen Marine die gleiche weiße Grundfarbe zeigte wie die der Royal Navy, und daher auf größere Entfernung teilweise schlecht von dieser zu unterscheiden war, glaubten viele Betrachter an Bord, das U-Boot hätte zunächst das „White Ensign“ gesetzt, dieses aber kurz darauf durch die Kaiserliche Kriegsflagge ersetzt. Aufgrund der allgemein bekannten Tatsache, dass die deutschen U-Boote ihre Flagge an der Achterkante des Turms führten, und dies bei einer Verfolgung der dem Betrachter abgewandte Teil des Bootes ist, sowie der Tatsache, dass niemand den Flaggenwechsel wirklich gesehen hat – trotzdem die gezeigten Signale abgelesen werden konnten – darf man diesen wohl getrost in den Bereich der Fabel verweisen.
Schließlich war U 28 bis auf geschätzte 90 m herangekommen, und auf der Brücke entschied sich die Schiffsführung dazu, auch die verbliebenen noch nicht ausgeschwungenen Boote auszuschwingen. Es handelte sich nach Baxter dabei um die Boote Nr. 5 und 6, während die Nr. 1, 2, 3, 4 und die Gig Nr. 8 bereits vor Abgabe des Liverpooler Lotsen ausgeschwungen worden waren. Warum Nr. 7 noch nicht betroffen war, bleibt offen. Der Obersteward, der Zweite Steward und ein weiterer erhielten durch Baxter die Anweisung, dafür zu sorgen, dass alle Passagiere sich an Deck begeben und mit ihren Schwimmwesten ausrüsten würden. Nach den Erfahrungen beim Untergang der TITANIC sollte, anscheinend um Panik zu vermeiden, nicht der Befehl „In die Boote“, sondern „Alle Mann zu den Booten“ gegeben werden. Der Kapitän verließ nach dem Stoppen ebenfalls die Brücke und ging nach achtern, wo er die Arbeiten an den Booten 7 und 8 achtern auf dem Poopdeck beobachtete. Nach der später erfolgten Torpedierung wurde er schließlich dabei beobachtet, wie er wieder auf die Brücke lief, um dort durch ständiges Ziehen der Dampfsirene die Situation dem in der Nähe stehenden Drifter EILEEN EMMA deutlich zu machen. Kapitän Davis sah man ein letztes Mal, als er von der kenternden FALABA ins Wasser sprang. Er gilt seitdem als verschollen.
Ein Gemälde, welches vergleichsweise präzise die letzten Minuten des Schiffes wiedergibt. Die Boote sind sämtlich ausgesetzt, und an Bord befindet sich niemand mehr.
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Unter den Aussagen der Passagiere ist die des Mr. Hermon Hodge wohl eine der herausragenden für die Beurteilung der Vorgänge und auch der strittigen „5 Minuten-Frage“. Am 20. Mai sagte er, immerhin ein „assistant district officer“ der britischen Kolonialverwaltung in Nigeria und nicht das erste Mal mit einem Elder-Dempster-Dampfer unterwegs, unter Eid Dinge aus, deren Bedeutung den Vorsitzenden und die Beisitzer des Gerichts ihn im Verlauf seiner Ausführungen irritiert fragen ließen, ob er womöglich „grievance“ [Groll] gegenüber der Reederei und dem Schiff hege? Nachstehend Teile seiner Version der Dinge, die allerdings – der Befragungstaktik geschuldet – nicht ganz chronologisch vorgebracht wurden:
Hodge hatte demnach im Salon gesessen, so „gegen ¼ vor 12 Bordzeit“ [korrigiert also 11.15 Uhr], als ein weiterer Passagier, ein Dr. Staples, hineinkam und einem Freund zurief, „Da draußen ist ein U-Boot, willst Du nicht herauskommen und es Dir ansehen?“ Dieser zeigte jedoch kein Interesse und auch Hodge fühlte sich eher veralbert und blieb sitzen. Kurz darauf trieb ihn aber die Neugier doch ins Freie. In kleinen Gruppen standen die Passagiere zusammen, und wer ein Fernglas vor den Augen hatte informierte die Nachbarschaft über das, was er auf dem mittlerweile durch die Passagiere als deutsch identifiziertem Boot – seitens der Schiffsführung war keine diesbezügliche Information erfolgt – erkannte. Ein weiterer Passagier sei dabei allen Ernstes auf die Idee gekommen, rasch Gewehre aus den Kabinen zu holen, um auf die an Deck befindlichen Leute des schätzungsweise nur 90 m entfernten Bootes zu schießen. Hodge ging zunächst wieder in den Salon zurück, kam kurz darauf jedoch wieder an Deck und bemerkte dort, wie er es nannte, eine „negative Panik“. Um eine Erklärung für diesen ungewöhnlichen Ausdruck gebeten, meinte er nur, alles wäre ohne großes Geschrei durcheinander gelaufen und jeder hätte so gut es ging für sich selbst gesorgt. Dass aber die U-Boots Crew sich über die Briten lustig gemacht hätte – einer der erhobenen Anklagepunkte seitens des Staatsanwaltes –, könne zumindest er nicht bestätigen.
Überhaupt, von dem Zeitpunkt an als er das U-Boot zum ersten Mal sah, bis zur Detonation des Torpedos wären nach seiner Uhr 25 Minuten oder auch mehr vergangen. Im Verlauf der Dinge war es ihm allerdings bereits frühzeitig an der Zeit erschienen, sich mit einer Schwimmweste zu versorgen. Hodge sagte weiter aus, dass er keinerlei diesbezügliche Anordnung der Schiffsführung gehört hätte und so auf eigene Veranlassung aus seiner Kammer eine Schwimmweste geholt hätte. Auf die Vorhaltung seitens des Befragenden, dass andere Zeugen sehr wohl eine Anordnung gehört hätten, sich zu den Booten zu begeben, entgegnete er, dass er dann wohl nicht an diesem Ort gewesen sei. Er jedenfalls hätte sich bei anderen Passagieren kundig machen müssen. Schließlich wäre ihm vom Kapitän persönlich erklärt worden, das U-Boot hätte der Schiffsführung fünf Minuten Zeit gegeben, das Schiff zu evakuieren. Zum Zeitpunkt dieser Diskussion waren aber bereits alle Boote, mit Ausnahme von Nr. 7, zu Wasser gelassen gewesen. Ein in der Nähe befindlicher Passagier, Mr. Bathgate, der den Kapitän dahingehend befragte, ob ein Entkommen möglich sei, soll zur Antwort erhalten haben: „No, that is the Bristol Channel“.
Ganz dick kam es aber auf die Frage, warum er – Hodge – nicht in eines der Boote gestiegen sei: Rundheraus entgegnete Hodge daraufhin, dass er lieber auf seine eigenen Schwimmkünste vertraut hätte, als in eines der Boote zu steigen. Deren Zustand habe er auf vorhergehenden Reisen bereits gesehen. Dementsprechend zog er es vor, auf den aufkommenden Trawler [die EILEEN EMMA] zu warten, welche in ebenfalls etwa drei Meilen Entfernung zu erkennen gewesen sei. Zudem hätte er nicht wirklich gewusst, welchem Boot er tatsächlich zugeordnet gewesen sei! Gerade auf die Wichtigkeit dieser Information hätte ihn sein in der Navy dienender Bruder vor der Ausreise hingewiesen, er hätte aber nur die alte Bootsrolle von der vorhergehenden Heimreise des Schiffes gefunden. – Das Gericht vertrat auf diese Aussage hin allerdings die Meinung, dass er an Hand der Kabinen-Nummer schon sein Boot – Nr. 7 – hätte finden können. – Weiterhin sagte Hodge aus, dass eines der Boote – Nr. 2 – zwar herabgelassen worden war, dann aber in der See buchstäblich zerbrochen sei, und zwar noch lange Zeit vor der Torpedodetonation. In dem Boot hätten sich auch kaum mehr als 12 – 16 Personen befunden. Diese Aussage musste zwangsläufig den Bereich der Rettungsmittel in den Fokus rücken:
Als erste überraschende Tatsache wurde festgestellt, dass es weder vor noch nach dem Auslaufen ein Bootsmanöver gegeben hätte, dies war immer dem ersten Sonnabend oder Sonntag auf See vorbehalten. Gleiches galt für die Bootsrolle, welche der Chef-Steward üblicherweise wohl am ersten Morgen nach der Ausreise anfertigte. Somit wussten weder die neu eingestiegenen Teile der Crew, noch die Reisenden welches Boot für sie jeweils vorgesehen war. Etwas merkwürdig war weiterhin die durchscheinende Tatsache, dass den Mitgliedern der Untersuchungskommission das Aussehen und die Funktion der sogenannten Brandungsboote nicht vertraut waren. Nach Rückfrage bei Kapitän G. Archibald, nautischer Inspektor der Reederei, erläuterte dieser, mit den fraglichen Booten würde das Gepäck der Passagiere in jenen Häfen durch die Brandung gebracht, die über keine Kaianlagen verfügten. Als Rettungsboote wären sie nicht ausgerüstet.
Die Boote Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 waren einige Zeit nach den Vorgängen an die Küsten des Vereinigten Königreichs angetrieben worden und konnten im Vorlauf der Untersuchung inspiziert werden. Inspektor Archibald wurde mit den Aussagen einer Reihe von Überlebenden konfrontiert, nach denen sich die Boote in einem „vergammelten“ Zustand befunden, Ausrüstung gefehlt und auch das seemännische Personal überwiegend durch Abwesenheit geglänzt hätte. Dem widersprach er mit Hinweis auf die im Dezember 1914 durchgeführte Abnahme auch der Rettungsmittel durch die Aufsichtsbehörde. Dass weiterhin bei einer Reihe von Schwimmwesten die Verschlussbänder gefehlt hätten, stellte er ebenfalls in Abrede. Die Kommission fokussierte sich im Weiteren mehr und mehr auf Fragen hinsichtlich des Bootsmaterials und des Verhaltens der Besatzung. Die nahezu einhundert Seiten Protokoll der Verhandlung schaffen dennoch, da aufgrund ihrer Brisanz ständig der Gegenstand der Fragen wechselte und in zweifelhaften Fällen auch nicht konsequent nachgefragt wurde, hierüber kaum endgültige Klarheit. Im Folgenden wird daher versucht, aus der Summe der Aussagen die wichtigsten Abläufe Boot für Boot herauszudestillieren. Nach der Musterrolle oblag es dem 1. Offizier, das Aussetzen der Rettungsboote zu überwachen, welcher Aufgabe er offenbar weitgehend auch nachgekommen ist.
Nr. 1 – | Baxter hatte sich zuerst auf die Steuerbordseite des Bootsdecks begeben, um seine Aufgabe – beginnend mit Nr. 1 – durchzuführen. Bereits bei seinem Eintreffen dort fand er allein eine völlig überforderte und uninformierte Gruppe von Stewards vor. Von der seemännischen Besatzung war niemand zu sehen. Das ausgeschwenkte und bis auf Höhe des Bootsdecks herabgelassene Boot wurde nun rasch besetzt und weggefiert. Auf Höhe des Promenadendecks sollen dann noch einige Personen auf den vorderen Teil des Bootes gesprungen sein. Der das vordere Fall bedienende Steward ließ los, das Boot sackte mit dem Vorsteven zuerst rasch ab und, um es nicht vollständig in die Senkrechte abkippen zu lassen, gab der das achtere Fall bedienende Steward ebenfalls sein Seil frei. Die Folge war, dass das Boot nun umstürzend in die See schlug – aber: „alle hatten ja Schwimmwesten um“ [Baxter]. Zwar gelang es den Insassen wohl es wieder aufzurichten, aber bereits kurz darauf kenterte es erneut. Glück für die im Wasser treibenden war, dass sich das Rettungsboot Nr. 3 in der Nähe befand und sie aufnehmen konnte. |
Nr. 3 – | Der I. Offizier wandte sich als nächstes diesem Boot zu. Dort schien seiner Ansicht nach alles in geordneten Bahnen zu verlaufen. Auf Höhe des Hauptdecks drängten sich sofort über 30 Personen ins Boot. Es wurde aber drauf geachtet, dass einige Plätze frei blieben, um die im Wasser treibenden Personen aufnehmen zu können. Glück hatten die Insassen nur insofern, dass der Aufschlag auf dem Wasser vergleichsweise glimpflich ablief, nachdem in ca. 6 Fuß Höhe die Fallen losgelassen worden waren. Ärgerlicher war dann aber, dass man in Gedränge nicht an die Riemen gelangen konnte und außerdem die Leckschraube nicht eingesetzt worden war, wodurch Wasser über die Entwässerung eindrang, und vier Herren mittels ihrer Bowler-Hüte permanent lenzen mussten. Nr. 3 war schließlich das erste Boot, das von der EILEEN EMMA erreicht wurde. Nach Übernahme der Geretteten vertrieb das leere Boot schließlich an die Küste. |
Nr. 5 – | Geordnet – nach Zeugenaussage um 12.20 Uhr [korrigiert 12.55 Uhr!] – kam dieses Boot zu Wasser. Es befand sich in sicherem Abstand von der FALABA als der Torpedo traf. |
Nr. 7 – | Um dieses Boot rank(t)en sich Legenden, zumal es fälschlicherweise häufiger als Boot Nr. 8 angesprochen wurde. Es war auf jeden Fall jenes, das bei der Detonation des Torpedos in unmittelbarer Nachbarschaft eben heruntergelassen wurde. Es soll durch die Erschütterung ebenfalls „von oben gekommen“ und anschließend gekentert sein, wodurch seine Insassen ins Meer stürzten. Acht seiner Schiffbrüchigen retteten sich anschließend auf die Reste des Bootes Nr. 2. |
Nr. 2 – | Den Ablauf bei Boot No. 2 schilderte unter anderem der Chef-Steward John Ellans. Vom I. Offizier beauftragt, ließ er einen seiner Stewards die Passagiere auffordern, sich umgehend warm angezogen an Deck zu begeben. Er selbst versicherte sich davon, dass sich niemand mehr in den Kammern befand. Damit rettete er wohl einigen Personen das Leben, so beispielsweise einer der Passagierinnen, welche von den Vorgängen noch nichts mitbekommen hatte. Beim Boot Nr. 2 herrschte während des Aussetzens weder Panik noch Unruhe; man stimmte sogar das Lied „It`s a long way to Tipperary“ an. Nach Ellans war das Wegfieren so lange problemlos verlaufen, bis auch hier ein abgeteiltes Besatzungsmitglied – in diesem Fall der Bord-Schlachter – das Fall losgelassen hätte. Der zufällig in der Nähe befindliche Kapitän gab ihm daraufhin die Order, seine Part vorsichtig ebenfalls ausrauschen zu lassen, um das Boot halbwegs kontrolliert ins Wasser zu bekommen. Seitens des Zeugen W.C. Chiswell, dessen Anhörung sich recht lang hinzog, da auch er sich kritisch über die Schiffsführung und die Reederei äußerte, besitzen wir hingegen eine recht dramatische Schilderung der weiteren Vorgänge um die Boote No. 2 und No. 8. Chiswell ist auch besonders interessant hinsichtlich seiner Aussagen über die während der Vorgänge verstreichenden Zeiten: Er gab die Zeit zwischen der ersten Sichtung des U-Bootes und dem Anruf zum Verlassen des Schiffes per Megaphon durch Forstner mit 20 Minuten sowie – noch wichtiger – die Zeit zwischen diesem Anruf und dem Torpedotreffer mit „ungefähr einer halben Stunde“ an. Als Chiswell mit drei weiteren Passagieren (Mr. D.J. Ryder, D. Ryder jr. und Mr. Primrose) Boot Nr. 2 erreichte, befand es sich ebenfalls bis auf Höhe des Bootsdecks weggefiert. Kaum aber, dass die vier Passagiere eingestiegen waren ließ jemand das achtere Fall ausrauschen. Die entstehende Belastung riss demnach einen Augbolzen für den Block des vorderen Falls aus dem Kiel des Bootes, wodurch dieses jetzt mit dem Vorschiff zuerst ins Wasser fiel und vollschlug. Nicht genug damit, löste es sich nur wenig später regelrecht in seine Bestandteile auf: „the gunwales came away from the sides and the bottom dropped out“. Um das Wrack wenigstens halbwegs als Schwimmhilfe benutzen zu können, umwickelte Chiswell die Trümmer mit einem Tau aus der Ausrüstung. Die Überreste von Nr. 2 trieben schließlich um den Steven herum auf die Stb-Seite und befanden sich – zumindest nach der Aussage von Mr. Primrose – bei dem Torpedotreffer etwa 45 m querab der FALABA sowie 18 m vom U-Boot entfernt.[6] Die folgenden 3,5 Std., bis zur Rettung durch den Drifter ORIENT II, verbrachten die „Insassen“ von Nr. 2 auf den längs des Dollbords angebrachten Lufttanks. Trotz dieses Zustands nahm man währenddessen noch weitere zehn Personen des Bootes Nr. 8 auf. Für zwei von ihnen kam jedoch jede Hilfe zu spät; als der Drifter das Boot erreichte, lebten von den 12 Schiffbrüchigen nur noch 10. |
Nr. 4 – | Was Boot Nr. 4 betraf, so berichtete ein Mr. Woolley, Zivilbeamter an der Goldküste, dass er, durch einen von U 28 geschossenen weißen Signalstern aufgeschreckt, vom Promenadendeck in seine Kabine eilte, sich seine Schwimmweste griff und zunächst auf der Stb-Seite versuchte, ein Boot zu erreichen. Dies gelang ihm nicht, so dass er anschließend auf die Bb-Seite lief. Auch er erhielt seitens der Besatzung keinerlei Hinweis oder Unterstützung. Auf Bb-Seite war man gerade damit beschäftigt, Boot Nr. 4 zu Wasser zu lassen. Auch Woolley gelangte noch in das eigentlich bereits vollbesetzte Boot. Sicher zu Wasser gekommen, übernahm der Chief-Ingenieur das Kommando. Als eines der wenigen Boote konnte es ordentlich von der FALABA fortrudern und befand sich, als der Torpedo detonierte, etwa 270 m von Dampfer entfernt. Kurze Zeit später vom Beiboot der EILEEN EMMA aufgenommen, waren die Schiffbrüchigen in Sicherheit. Nicht ganz so glücklich war allerdings Capt. M.C.C. Harrison, der beschwor, er wäre – in seiner Schwimmweste treibend – trotz allen Flehens nicht von Nr. 4 aufgenommen worden – dies mit dem Hinweis darauf „das Boot wäre voll“, bzw., „dass er ja nur auf das nicht weit ab liegenden Beiboot des Drifters zu warten brauche“. Dieses nahm ihn dann später auch tatsächlich auf. Der genannte Chief-Ingenieur, William Guy, war in seiner Kammer von der Meldung überrascht worden, man hätte ein U-Boot gesichtet. Er eilte in den Maschinenraum, bemerkte dabei aber, dass das Schiff bereits gestoppt hatte. Kaum „im Keller“ angelangt, rief einer der Stewards durch das Oberlicht „All hands to the boats“. Guy blieb zunächst unten, bis sichergestellt war, dass sich niemand mehr in der Maschine aufhielt. Zurück in seiner Kammer nahm er seine Schwimmweste und lief zu Boot Nr. 6, dem er eigentlich zugeteilt war. Dieses schwamm aber bereits im Wasser, so dass er sich Boot Nr. 4 zuwandte. Mit ungefähr 40 Personen besetzt kam jenes sicher zu Wasser und gelangte anschließend auf die Stb.-Seite der FALABA. Als der Torpedo detonierte befand es sich, der Aussage Mr. Guys nach, etwa 270 m vom Schiff entfernt. |
Nr. 6 – | Dies war eines der Boote, welches vermeintlich sicher ausgesetzt worden war, allerdings durch Beschädigungen, welche durch das Anschlagen gegen den Rumpf der FALABA entstanden waren, stark Wasser machte. Zusätzlich fehlten auch hier die Leckschrauben. Mit dem Ruf: „My God! there is no plug in the Boat“ soll I. Offizier Baxter auf Höhe des Salondecks wieder aus dem Boot gesprungen sein, zwei Passagieren die Fallen übergeben haben, um das Aussetzen der restlichen Boote zu beaufsichtigen. Mit knapp 40 Personen besetzt, verlief das Wegfieren von Nr. 6 dennoch reibungslos. Mit einem Riemen drückte man sich von der Bordwand der FALABA ab, um anschließend, mit zwei weiteren Riemen rudernd, vom Schiff fortzukommen. Das gelang allerdings nur unvollkommen: Das Wasser drang auch in dieses Boot soweit ein, dass es noch vor der Zeit des Torpedotreffers aufgegeben werden musste. Nach knapp einer Stunde im Wasser wurden acht der Schiffbrüchigen vom Drifter WENLOCK aufgenommen. |
Nr. 8 – | Als der I. Offizier, von Boot 5 kommend, bei der Gig eintraf, war diese mit etwa 18 Personen besetzt. Der das Kommando führenden 4. Offizier sollte so viel wie möglich in der See treibende Personen aufnehmen. Zwischenzeitlich hatte sich auch eine vermisste weibliche Passagierin eingefunden, sodaß Baxter und der Zahlmeister die Gig sicher zu Wasser brachten. Eine Selbstverständlichkeit zur damaligen Zeit war außerdem, dass der Bootsmann kurz vorher 6 Schwarzafrikaner aus dem Boot beordert hatte, um Platz für Weiße zu schaffen. |
Minen, deutsche U- und T-Bootpatrouillen waren der Grund dafür, dass Anfang 1915 viele der in Lowestoft, Great Yarmouth und anderen Orten an der englischen Ostküste beheimateten Drifter die Nordsee verließen und in der Irischen See, die sich noch friedlich zeigte, auf Fischfang gingen. Aus dieser Gruppe kamen auch die Retter der Schiffbrüchigen.
Während die anderen Drifter erst etwa 1 ½ Stunden nach dem Untergang der FALABA vor Ort eintrafen, befand sich die EILEEN EMMA nach Aussage ihres Bootsführers während des Einschlags des Torpedos etwa 270 m steuerbord-vorlich des Dampfers. Dementsprechend hätten Drifter und U-Boot – zumindest nach Aussage der Zeugen – beinahe auf Rufweite nebeneinander liegen müssen, was allein durch das Foto hinreichend widerlegt ist. Auf jeden Fall aber befand sich der Drifter dennoch in bester Sichtweite Forstners – der ihn allerdings aus von ihm nicht ausgeführten [humanitären?] Gründen in Ruhe ließ. Angesichts der unmittelbaren Nähe des U-Boots bleibt es unzweifelhafter Verdienst von Skipper G. Wright und seiner Besatzung die meisten der Schiffsbrüchigen aufgenommen zu haben. Dennoch muss man auch seine Aussagen kritisch hinterfragen. Beispielsweise beschwor er, bei dem Torpedotreffer noch zwei der Stb-Boote in ihren Davits hängen gesehen zu haben – was ebenfalls durch das Foto widerlegt wird. Es war einzig Boot Nr. 7, welches in diesem Moment noch zu Wasser gelassen wurde. Mr. Self von der GEORGE BAKER – sein Drifter nahm fünf Personen aus einem Rettungsboot auf – erinnerte sich, dass sich um die Untergangstelle eine große Öllache ausbreitete und die See beruhigte, in der inmitten von Treibgut viele Tote trieben.
In Summe wurden allein durch die genannten fünf Drifter 95 Passagiere und 47 Mann der Besatzung gerettet. Die Verteilung auf die einzelnen Boote sah wie folgt aus, wobei auch Personen mitgezählt wurden, die später an Bord noch verstarben: (Rechenfehler 95+47 nicht gleich 122+14+5+8+3)
EILEEN EMMA | LT342 | Bauj. 1912, 62 NRT = 122 |
ORIENT II | LT859 | Bauj. 1911, 93 BRT = 14 |
GEORGE BAKER | YH537 | Bauj. 1913, 91 BRT = 5 |
WENLOCK | LT480 | Bauj. 1910, 74 BRT = 8 |
THE EMULATE | YH349 | Bauj. 1913, 77 NRT = 3 |
EILEEN EMMA. Ein typischer Drifter/Logger, beheimatet in Lowestoft. Für ihren Einsatz erhielt die Crew später ein Geschenk von £ 225.
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Genüsslich ließ sich „die Feindpresse“ darüber aus, dass sich U 28 nach dem Untergang der FALABA den um ihr Leben kämpfenden Schiffbrüchigen näherte und diese mit Hohn und Spot übergoss, sich also am Todeskampf friedlicher Passagiere ergötzten.
Die Geschichte entstammt der Aussage von Mr. David Ryde vor dem Untersuchungsausschuss, Ryde, der sich mit seinem Vater und dessen Arbeitskollegen der Nigerianischen Staatsbahn in dem Boot Nr. 2 befand. Er sagte aus, dass, während er eben dabei war einige der im Wasser treibenden vormaligen Insassen des Bootes Nr. 8 aufzunehmen und der Torpedo auf der FALABA einschlug, er glaubte mit Sicherheit beobachtet zu haben, wie sich auf dem Deck des etwa 45 m entfernten U-Bootes einige Besatzungsmitglieder johlend über die knapp 15 in der Nähe treibenden Schiffbrüchigen lustig machten. Er hätte sich zwar in Rufweite befunden, aber, da des Deutschen nicht mächtig, nicht um Hilfe gerufen. Eine doch recht seltsame Begründung! Die generelle Aussage wurde zusätzlich von seinem Vater und den beiden übrigen Insassen des Bootes, Mr. Chiswell und Mr. Primrose bestätigt, allerdings verneinte Robert Primrose die Frage, ob er denn auch höhnisches Rufen und ähnliches gehört habe[!] Als die FALABA schließlich kenterte hätten allerdings einige U-Boot-Leute auf das Schiff gezeigt und sich etwas zugerufen. Nicht übersehen darf man auch, dass sich, während Mr. Ryde jr. seine Aussage machte, dessen Vater und Mr. Chiswell im Saal anwesend waren.
Eines jener unzähligen Propagandaplakate, auf denen die deutschen „Gräueltaten“ wirksam dargestellt wurden. Nicht umsonst trägt auch das Boot selbst die Nummer 666.
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Skipper G. Wright, der Schiffsführer der EILEEN EMMA, gab während seiner Aussage immerhin zu Protokoll, dass auf „Bootshaken-Entfernung“ von v. Forstners Boot ca. 40 Menschen hilflos im Wasser trieben, ohne dass man sich auf dem U-Boot darum gekümmert hätte. Von „johlen“, „brüllen“ und dergleichen hatte er nichts bemerkt. In korrekter Weise erwähnte er ebenfalls, dass sich an Deck des Bootes niemand befunden hätte, es wäre nur die Turmbesatzung zu erkennen gewesen.
Damit dürfte er der Realität recht nahe gekommen sein, denn es war nicht üblich – schon gar nicht in der erwähnten groben See – dass sich außer der Geschütz-Bedienung und der Brückenwache noch Personal an Deck befand.
Bevor wir uns dem finalen Spruch des Untersuchungsausschusses widmen, sei an dieser Stelle kurz rekapituliert, was sich eigentlich abgespielt hatte und wo weiterhin Ungereimtheiten bestehen. Unstrittig dürfte sein, dass die FALABA am 27. März den Hafen von Liverpool verließ, ohne dass ihre etwa zur Hälfte aus Neueinsteigern bestehende Besatzung sich hinreichend mit dem Schiff und ihren Aufgaben hatte vertraut machen können. Dies war allerdings offenbar gängige Praxis – so auch vor dem Ausschuss dargelegt und nicht widersprochen – und darf daher keinesfalls mit den Vorschriften aus heutiger Zeit verglichen werden. Nichtsdestoweniger trug es sicherlich zu den eingetretenen Verlusten bei. Hinsichtlich des Zustandes der Rettungsmittel dürfen zumindest Zweifel über ihren ordnungsgemäßen Zustand erlaubt sein, denn, wie ebenfalls während der Verhandlung herausgearbeitet, galt beispielsweise der Überprüfung der strukturellen Festigkeit der hölzernen Boote, die teilweise bereits über Jahre hinweg tropischem Klima ausgesetzt gewesen waren, kaum Aufmerksamkeit. Daran änderte auch die Besichtigung zur Neuausstellung der Zertifikate im Dezember 1914 nichts Substantielles, denn – wie es auch heute noch Praxis ist – es wurden/werden „spot-checks“ vorgenommen. Den Zustand jedes einzelnen Details an Bord zu überprüfen geht bei weitem über die Möglichkeiten eines einzelnen Surveyors; ihren gebrauchsfähigen Zustand zu erhalten ist Kernaufgabe der Reederei.
Als Besatzung und Passagiere dann um die Mittagszeit des Folgetages U 28 bemerkten, konnte es über das weitere Schicksal des Schiffes, unbewaffnet wie es war, kaum einen Zweifel geben. Wir gehen hier bewusst nicht auf die Rechtmäßigkeit von Forstners Handeln ein – insbesondere hinsichtlich der nachgewiesenermaßen an Bord befindlichen ca. 12 Tonnen Munition. Wären diese nicht an Bord gewesen, hätte Forstner, unwissend wie er über diese Tatsache nur sein konnte, nicht anders gehandelt. Sie waren also nicht ursächlich für die Versenkung. Die moralische Diskussion über den Transport von Kriegsmaterial an Bord eines Passagierschiffes im Kriegsgebiet musste dementsprechend zwischen Passagieren und Reederei geführt werden.
Ein Blick nach achtern auf das Stb-Bootsdeck. Von besonderer Panik ist nichts zu erkennen, wobei die originale Bildunterschrift diese Aussage mit der Bemerkung verstärkt: „(D)ie Überlebenden hätten mit Hochachtung von der perfekten Ordnung an Bord gesprochen.“
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Als definitiv falsch darf man jedenfalls die Aussagen über die Entfernung des Bootes zur FALABA bei der Sichtung bezeichnen: Wären es die beschriebenen etwa drei Seemeilen gewesen, hätte U 28 über 21 kn laufen müssen, um im Rahmen der, auch von Forstner genannten, Zeit von ca. 20 Minuten zwischen Auftauchen und längsseits kommen zu bleiben. Und das konnte es nicht! Für den weiteren Ablauf sind die an Bord aufgenommenen und bereits am 31. März 1915 im „Daily Mirror“ veröffentlichten Fotos eines Passagiers recht hilfreich. Zunächst ist festzustellen, dass die FALABA – aus welchem in der Verhandlung ungenannten Grund auch immer – mit einer Bb-Drehung langsam durch den Wind drehte, als sie zum Stoppen auslief, was durch mehrere Fakten belegbar ist.
Unstrittig scheint zu sein, dass U 28 an der Bb-Seite auflief, was durch das erste Foto gestützt wird, wo die Sonne auf seine sichtbare Seite scheint. Hier sind außer der Brückenwache keine Personen auf dem Rumpf des Bootes zu erkennen, nicht einmal am einzigen, achtern stehenden Deckgeschütz. Auf der folgenden, während des Aussetzens der Boote nach achtern geschossenen Aufnahme des Stb-Bootsdecks, zeigt der Schattenwurf ebenfalls noch nach Bb-achtern, eine logische Konsequenz bei genau im Süden stehender Sonne. Die sequentiell folgende Aufnahme zeigt das U-Boot aber bereits im Gegenlicht, also südlich – Bb-achtern – des Schiffes. Dementsprechend hat es seinen Kurs bei langsamster Fahrt offenbar einfach durchgehalten und musste schließlich bei dem quasi vor seine Rohre treibenden Schiff nicht einmal mehr groß zielen. Auch hier befinden sich keine Personen an Deck. Die Driftbewegung wird zudem bestätigt durch die Aussage der Zeugen aus den Bb-Booten, welche übereinstimmend aussagten, um das Heck herum auf die Stb-Seite vertrieben worden zu sein, was nichts anderes heißt, als dass die schneller treibende FALABA die Boote „verdrängte“. Zum anderen erkennt man auf der „Panoramaaufnahme“, in Richtung des Vorschiffs geschossen, neben den Booten und Bootswracks das Totwasser in Luv eines treibenden Schiffes. Hier wird auch deutlich, warum sich der anlaufende Drifter EILEEN EMMA auf den Bereich des Stb-Vorschiffs konzentrierte: Es war zum einen der kürzeste Weg den er – allem Anschein nach ebenfalls aus nordwestlicher Richtung kommend – nehmen konnte, und zum anderen befanden sich an dieser Stelle die meisten der Schiffbrüchigen.
Eindeutig ist hier die Sonnenabgewandte Seite des Bootes zu erkennen, im Süden der FALABA stehend, während es augenscheinlich um das Heck herumholt, um dann in die Schussposition zu gelangen, die durch das entsprechende Foto belegt ist. Erneut sind außer der Turmbesatzung keine weiteren Personen an Deck zu erkennen.
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Die drei Aufnahmen der „ausgesetzten“ Boote sprechen eine eigene Sprache. Sie bestätigen zumindest die Aussagen der Passagiere hinsichtlich der eingetretenen Situation, wenngleich ihr baulicher Zustand selbstverständlich verborgen bleibt. Die oben angesprochene Aufnahme des Stb-Bootsdecks zeigt die Boote Nr. 3 und Nr. 5 bereits zumindest bis zum Promenadendeck weggefiert, während noch eine erhebliche Anzahl an Crew und Passagieren – teilweise sogar ohne Schwimmhilfe – an Deck stehen. Eine weitere zeigt offensichtlich die Gig Nr. 8 beim geordneten Absetzen von der Bordwand, mit zählbaren 17 Personen besetzt, was ebenfalls in etwa den getätigten Aussagen entspricht. Die „Panoramaaufnahme“ zeigt die ganze Dramatik des Falles. Deutlich sind neben zwei aktiv geruderten Booten zwei gekenterte zu sehen, mit dazwischen im Wasser treibenden Personen.
Vom Aufbaudeck nach Stb-voraus aufgenommen, zeigt diese Aufnahme die ganze Dramatik der Situation, mit nur zwei ordnungsgemäß schwimmenden Booten, zwei gekenterten und einem bis zum Dollbord weggesackten. Die Zeitung hatte selbstverständlich eine Erklärung dafür, denn ursächlich wäre die mangelnde Zeit gewesen, die Boote ordnungsgemäß zu Wasser zu bringen. Hätte man nur 10 Minuten mehr gehabt, wäre nichts passiert.
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Bleibt noch abschließend die Betrachtung der Aufnahme des Torpedotreffers. Hier wird die Lage des Schiffes am deutlichsten. Licht und Schatten am Heck und an der Wassersäule weisen deutlich auf den Lichteinfall von Bb-achtern hin, ebenso wie der abblasende Dampf aus den Sicherheitsventilen auf den Windeinfall von Stb-vorn. Das aufspritzende Wasser am Heck könnte im Zusammenhang mit dem abstürzenden Boot Nr. 7 stehen, doch ist die Entfernung zum Schiff zu groß, um genaueres erkennen zu können. Ein Blick auf das Bootsdeck zeigt, dass sich keinerlei Boote mehr an Bord befinden, was wiederum die Aussage des Skippers der EILEEN EMMA widerlegt. Zwischen Schiff und U-Boot sind keinerlei Boote zu erkennen, was zwangsläufig zu der Frage führen muss, wie einzelne der Passagiere aus nächster Nähe das Verhalten der U-Bootbesatzung erkannt haben wollen?
Mit dem rekonstruierten Ablauf „im Hinterkopf“ sei jetzt aus dem abschließenden Bericht des Untersuchungsausschusses zitiert, der – in der Natur der Sache liegend – einige Vorgänge anders bewertete:
... bestand neben einem generellen einführenden Überblick vor allem aus der schlussfolgernden Beantwortung der oben erwähnten 25 Fragen – hier in der übersetzten Form:
So edel, wie in der deutschen Literatur meistens dargestellt, war die Situation nun allerdings auch nicht. Die Anweisungen an die Kommandanten vom 17. Februar 1915 sahen zusammenfassend vor, dass feindliche Handelsschiffe durch Unterwasserschuss zu versenken seien. Lazarettschiffe ebenso, sollten sie zu illegalen Truppentransporten benutzt werden. Besondere Bestimmungen galten für neutrale Schiffe sowie für die Dampfer der „Belgian Relief“. Letztere waren unbedingt zu schonen. Dass mit diesen Anweisungen, wie überspitzt formuliert und oft zitiert, einem Kapitänleutnant das Schicksal des Reiches in die Hand gegeben wurde, war wohl nicht bedacht – oder wurde billigend in Kauf genommen. Wichtig schien die psychologische Wirkung, das plötzlich über einen hereinbrechende Inferno, das kaum Zeit ließ, sich in Sicherheit zu bringen. Dass sich auch US-Staatsbürger auf den zu torpedierenden Dampfern befinden konnten, wurde billigend in Kauf genommen. Eine Auswertung des KTB von U 28 belegt, dass Forstner permanent versuchte, unter Wasser anzugreifen; war ihm dies nicht möglich, wurde aufgetaucht und nach Prisenordung vorgegangen. Dass letztlich ein technischer Defekt für diese Handlung verantwortlich war, zeigen seine Ausführungen im KTB nach Abschluss der Reise:
„Da ich nach Ausfall des Hauptsehrohres, das bei der Ausreise bei Dover-Calais voll Wasser gelaufen war, kaum noch in Stande war, bei einigermaßen Seegang mit dem kurzem Seerohr ungesehen ↓ Angriffe zu fahren, habe ich mich zu dem Abschießen der Dampfer über Wasser entschlossen. Ich freue mich besonders, dass ich so der mündlich von Sr. Majestät dem Kaiser uns U-Bootskommandanten gegenüber geäußerten Willensmeinung, die Besatzungen vor dem Abschießen möglichst aussteigen zu lassen, entsprechen konnte.“
War sein KTB eine Fälschung? Dagegen spricht Alles. Forstner galt als ruhiger, abwägender Offizier. Kein Draufgänger wie Schwieger und schon gar kein Totschläger á la Werner. Sein KTB ist immer recht ausführlich gehalten, fast schon „literarisch“. Keinesfalls hätte er – wie anderenfalls geschehen – den Beleg für seine Absicht die FALABA per Unterwasserangriff á la LUSITANIA zu vernichten schriftlich mit Unterschrift hinterlegt.
Der Eigentümer der FALABA, die Elder, Dempster & Co., eine der großen britischen Linien-Reedereien, konnte bei Kriegsbeginn bereits auf eine über 50jährige Tradition als führende Reederei im Postdienst von Liverpool zu den westafrikanischen Häfen des britischen Imperiums zurückblicken. Bei Kriegsbeginn bereederte man ca. 100 Frachtschiffe, darunter auch Schlepper und Flussdampfer in der Küstenfahrt in den Kolonien. Erst mit dem Aufkommen der Langstreckenflüge, mehr aber noch durch das Selbstständigwerden der Kolonien, verlor die Reederei mehr und mehr an Bedeutung. Nach zig Verkäufen – letztlich an die französische Delmas Gruppe – wurden 1989 die letzten Frachtschiffe aus der Fahrt genommen. Bei dieser Tradition und Reputation erstaunt es, dass man dem Unternehmen überhaupt im Bezug auf die Rettungsmittel schwere Vorwürfe machen konnte. Zwar bemühte man sich von staatlicher Seite um eine Schadensbegrenzung, aber die Aussagen der Passagiere lassen doch vermuten, dass man es mit der Pflege der Rettungsmittel nicht so genau nahm. Dies, und auch das Verhalten der Besatzung, ist wohl ursächlich für die große Zahl an Opfern. Abschließend sei die oben erwähnte offizielle deutsche Stellungnahme zu dem Fall zitiert, die leider ebenfalls über das sachliche Ziel – und auch Forstners KTB – hinausschießt und somit ebenfalls die Seriosität vermissen lässt, die ihr gut angestanden hätte:
„Berlin, den 14. April: Das Große Hauptquartier vermeldet folgendes betreffs der Versenkung des britischen Dampfers FALABA. Aus verlässlicher Quelle wird berichtet, dass die FALABA sich weigerte beizudrehen, stattdessen floh und sogar Signalraketen abfeuerte, um Hilfe herbeizurufen, wodurch sie das U-Boot der Gefahr aussetzte, von ihr zur Hilfe kommenden Schiffen angegriffen zu werden. Außerdem wurde das U-Boot von ihr aus beschossen.
Demgegenüber feuerte das U-Boot nicht sofort. Aus etwa 500 m Entfernung befahl das Boot der Besatzung, binnen 10 Minuten das Schiff zu verlassen. Die Besatzung bemannte die Boote, leistete aber den Passagieren, die sich bereits im Wasser befanden und denen sie hätte leicht zu Hilfe kommen können, keine Hilfe.
Von dem Zeitpunkt der Erteilung des Befehls bis zu dem Zeitpunkt, als der Torpedo gefeuert wurde, vergingen nicht 10, sondern 23 Minuten. Als der Schuss fiel, konnte nur noch der Kapitän auf dem Schiff ausgemacht werden und das U-Boot konnte keinerlei Passagiere an Bord nehmen.
Es ist eine Verleumdung zu behaupten die Mannschaft des U-Bootes wäre angesichts der ertrinkenden Opfer in Gelächter ausgebrochen.“[17]
[1] Die Zahl entspricht den Angaben während der Verhandlung, steht allerdings im Widerspruch zu den im Abschlußbericht genannten 104 Menschen, die auch in die Literatur übernommen wurde. Welche der Angaben stimmt ist nicht verifizierbar.
[2] Eine der neuesten diesbezüglichen Darstellungen findet sich beispielsweise in Edwards: „War under the red ensign 1914-1918“ von 2010. Sie kommt nahe an den schönen Begriff einer „good sea-story“ heran, beispielsweise unter Verwendung erfundener Funksprüche auf der einen, vermeintliche Seriosität durch die Verwendung von Details vorgaukelnd auf der anderen Seite.
[3] Sein Name, Leon C. Thrasher, wird sogar explizit in der sogenannten ersten amerikanischen „LUSITANIA-Note“ vom 15. Mai 1915 genannt. Als kleine Randnotiz sei erwähnt, dass Thrashers Leiche am 12. Juli an die Küste der Grafschaft Kerry angeschwemmt wurde und anschließend die „Cunard-Line“ – im Glauben, eines der Opfer der LUSITANIA zu betreuen – zunächst für die Bestattungskosten aufkam.
[4] Eine erste offizielle deutsche Stellungnahme wurde offenbar am 14. April per Funk an deutsche und neutrale Stationen verbreitet – und von britischer Seite mitgelesen; ihr Wortlaut wird weiter unten wiedergegeben werden.
[5] Weniger bekannt ist offenbar das Gespräch Forstners mit dem amerikanischen Baumwollhändler J.J. Ryan, dessen Wiedergabe allerdings aus der o.g. etwas unzuverlässigen Quelle stammt. Dementsprechend hätte Forstner folgendes erzählt (auf die sich ob der gesehenen Szenen bei der Versenkung vergnügende Besatzung angesprochen):
„Ein derartiger Eindruck ist verletzend ungerecht meinen Männern gegenüber. Meine Männer schrieen auf – und lachten nicht – als die Boote kenterten und ihre Insassen ins Wasser fielen. (...) Ich warnte den Kapitän der FALABA, seine Funkanlage außer Betrieb zu setzen, gleichzeitig damit die Passagiere auszuschiffen, und gab ihm zehn Minuten Zeit dazu. Er jedoch funkte weiter und rief Torpedoboote an, die sich in weniger als 20 sm Abstand befanden, so rasch wie möglich zu seiner Unterstützung zu kommen. Am Ende dieser 10 Minuten gab ich ihm eine zweite Warnung die Funkanlage außer Betrieb zu nehmen und wartete weitere 20 Minuten. Danach torpedierte ich das Schiff, als die Torpedoboote nahe kamen, wohl wissend, dass diese die Rettung von Passagieren und Besatzung unternehmen würden.“ [?]
[6] Bei vergleichender Betrachtung des Fotos des Torpedotreffers sind diese Angaben – zumindest den Abstand zum U-Boot betreffend – völlig unmöglich.
[7] An besagter Stelle findet man nur die bekannte Aussage, dass es übliches Prozedere der Reederei sei, einen Bootsdrill am Sonntag abzuhalten, dieser aber bis zum Untergang unterblieben wäre. Eine Anklage wurde daraus nicht abgeleitet.
[8] Muss Nr. 8 heißen.
[9] Es fehlt ein Hinweis auf die Frage der tatsächlichen Uhrzeit.
[10] Hier wird nur angeführt, dass der III. Offizier, Mr. Pengilly, meinte, ein „white ensign“ erkannt zu haben.
[11] „Kurz vor der Mittagsstunde schoss es ein Sternsignal, um auf das gesetzte Flaggensignal aufmerksam zu machen, welches die FALABA anwies zu stoppen und das Schiff zu verlassen. (...) Wenig später – eine oder zwei Minuten vor 12 Uhr – setzte es das Signal: ‚Stoppen oder ich schieße!’ (...) Anschließend setzte es das Signal: ‚Verlassen Sie umgehend das Schiff!’ und rief das Schiff per Megaphon an, in die Boote zu gehen, da das Schiff innerhalb von fünf Minuten versenkt werden würde.“
[12] Anweisungen hinsichtlich des Verbotes zu funken sind nicht vermerkt – es wurde während der Verhandlung davon ausgegangen, dass der erste Funkspruch wohl seitens des Bootes registriert worden sei.
[13] Keine zusätzlichen Informationen enthalten.
[14] Auf eine erneute Widergabe der enthaltenen Informationen wird hier verzichtet, da bereits oben abgehandelt. Interessant nur die Bemerkungen hinsichtlich der Untersuchungen der angetriebenen Boote. Generell hatte der Schiffbauingenieur der Werft ausgesagt, die Rettungsboote seien 1906 aus gutem Material und ordentlich gebaut worden. Die Lebensdauer würde allgemein auf 14 – 15 Jahre berechnet. Die Boote Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 hätten sich durchweg noch in einem guten Zustand befunden, die sichtbaren Beschädigungen hätten von einem „rauen Umgang“ mit ihnen hergerührt. Sogar Boot Nr. 8, welches ja durch den Torpedotreffer „von oben gekommen“ war, [sic!] hätte nur ein etwa 1 m² großes Loch aufgewiesen, welches augenscheinlich verursacht worden war durch das heftige Anschlagen des Rumpfes gegen die Bordwand der FALABA bei der Explosion des Torpedos. Hinsichtlich der Boote Nr. 1 und 2 kam man nicht umhin einzugestehen, dass beide beim Aussetzen beschädigt worden wären – dies sei aber kein Beweis für ihren schlechten Zustand. Und wörtlich:
„Was die Zeugen jedoch wohl meinten, wenn sie sagen die Boote wären „vergammelt“ gewesen, ist, dass einige in schwimmendem Zustand nicht seetüchtig gewesen sind. Das trifft zweifellos zu. Doch dieser Zustand war meiner Meinung nach allein durch die Schäden beim Aussetzen verursacht worden, und nicht durch vorherige Mängel. Dazu muss jedoch folgendes bemerkt werden: Es darf daran erinnert werden, dass das U-Boot der FALABA nur fünf Minuten Zeit gegeben hatte, die Boote fertigzumachen, zu besetzen und auszusetzen. (...) Es sind diese Umstände, welche offensichtlich einige der Zeugen dazu bewegen, ich möge feststellen, dass die Beschädigungen der Boote durch die Nachlässigkeit von Offizieren und Mannschaften während des Aussetzens entstanden seien. Das kann ich nicht. (...) Es ist mir unmöglich auch nur einen Mann an Bord für Dienstversagen oder Inkompetenz zu beschuldigen. Die Verantwortung für die Konsequenzen dieser Katastrophe liegt ausschließlich bei den Offizieren und Mannschaften des deutschen U-Bootes.“
[15] siehe oben.
[16] siehe oben.
[17] Zitiert nach Edwards, War...