Erinnerungen eines Marine-Nachrichtenoffiziers

- Zwischen Flotte und Kleinkampfverband -


von Oberleutnant (MN) d.R. a.D. Emil-Karl Taddey


Nach dem ursprünglichen Manuskript für das Internet aufbereitet und herausgegeben von Mathias Hansen im Dezember 2018.

Inhalt


Abkürzungsverzeichnis 3
Vorwort 4
1. Kommandos des Verfassers als Nachrichtenoffizier 5
2. Die nachrichtendienstliche Feindlage zwischen Gotenhafen und Kirkenes aus der Sicht des Flottenkommandos 6
2.1 Polen: Gotenhafen 7
2.2 Dänische Gewässer 8
2.3 Schwedische Gewässer 8
2.4 Norwegen 10
3. Bemerkungen zum Marinefunkdienst, seine Mängel und Folgen 14
3.1 Die technische Seite des Funkdienstes 20

Abkürzungsverzeichnis


A 4 4. Admiralstabsoffizier
Bb Backbord
B-Dienst (Funk-) Beobachtungsdienst
BDK 1) Befehlshaber der Kreuzer (August 1940 bis Oktober 1941)
2) Befehlshaber der Kampfgruppe (ab Februar 1943)
BDU Befehlshaber der U-Boote
BNO Bordnachrichtenoffizier (Dienstposten auf Kreuzern und Schlachtschiffen)
B-Stelle (Funk-)Beobachtungsstelle
Befehlsübermittlung bzw. der Befehlsübermittler
ČSR Tschechoslowakische Republik
Korv.Kpt. Korvettenkaptän
FdZ Führer der Zerstörer (November 1939 bis Kriegsende)
FT Funkentelegrafie
FTO Funktechnikoffizier (oder Funkentelegrafieoffizier)
FTO-B fachlicher Lehrgang für FTO und entsprechendes Prüfungszeugnis
FuMB Funkmessbeobachtungsgerät (Radar-Warngerät)
G-Boote britische „Motor-Gun-Boats“ (MGB)
IO Erster Offizier
KM Kriegsmarine
KW Kurzwelle
MC Megacycle (per second), Frequenzangabe bis 1960; 1 MC = 1MHz
MN Marinenachrichten (Offizierlaufbahn)
MNO 1) Marinenachrichtenoffizier (als Dienstposten auf Landfunkstellen)
2) Marinenachrichtenoffizier als Bezeichnung der Dienststelle
MNS Marinenachrichtenschule
MPi Maschinenpistole
ND Nachrichtendienst; nachrichtendienstlich
NT Nachrichtentechnik (Offizierlaufbahn)
NVK Nachrichtenmittelversuchskommando
Ob.d.M. Oberbefehlshaber der Kriegsmarine
OKM Oberkommando der Kriegsmarine
R-Boot Räumboot
SKL Seekriegsleitung
Stb Steuerbord
UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion)
UKW Ultrakurzwelle
VP-Boot Vorpostenboot
WO Wachoffizier
Z-Flottille Zerstörerflottille

Vorwort


Die vorliegende Abhandlung wurde der Lehrsammlung für verwendungsbezogene Ausbildung der im Jahre 2002 aufgelösten Marinefernmeldeschule Flensburg-Mürwik übergeben. Sie ist leider nicht vollständig.
Emil-Karl Taddey wurde am 3. November 1913 in Rheinhausen, dem heutigen Duisburger Stadtbezirk, geboren und war Reserveoffizier und Angehöriger der Crew D 36. Am 1. Oktober 1942 wurde er letztmalig befördert.
Seine eigenen Angaben widersprechen in Teilen den offiziellen Unterlagen im Bundesarchiv. So gibt er an, er wäre im Kommando der Kleinkampfverbände der Kriegsmarine als Ausbildungsleiter im Lehrkommando 200 und auch als Chef einer Ausbildungsflottille „Sirius“ eingesetzt gewesen. Eine so bezeichnete Flottille gab es nicht. Die „Sirius“ (Ex-„Paul L.M. Russ“) war das Ausbildungs- und Zielschiff des Lehrkommandos 200 und wurde auf der Trave und in der Lübecker Bucht eingesetzt. Unterlagen im Bundesarchiv führen ihn als Ausbildungsoffizier im Ausbildungslager der Schulflottille (Lager „Grünkoppel“). Insoweit sind einige seiner späteren von ihm aufgelisteten Dienstposten zumindest zu hinterfragen.
Seine Schilderungen weisen auch einige sonstige Ungereimtheiten auf und sollten nicht unreflektiert als felsenfeste Quelle genutzt werden. Das sollte man dem Verfasser aber nicht verübeln. Wir alle vergessen viel mit dem Alter.
Er lebte nach dem Krieg in Elsdorf-Westermühlen, nahe Rendsburg, arbeitete als Elektroingenieur in Fockbek und starb am 22. September 1992.
Im Manuskript der originalen Niederschrift Taddeys sind neben den hier in der Überarbeitung erwähnten inhaltlichen Abschnitten noch weitere Themenpunkte vermerkt:


Diese Punkte hat Taddey leider nicht mehr im vorliegenden Manuskript ausgeführt. Ob er sein Manuskript jemals vervollständigt hat, ist nicht nachzuvollziehen.

Mathias Hansen,
Svenljunga im Dezember 2018


Kommandos des Verfassers als Nachrichtenoffizier


Wachleiter im Funkraum des Befehlshabers der U-Boote/ Gruppe West zur Zeit des Norwegenfeldzuges.

Schlüsseloffizier des Kommandierenden Admirals in Frankreich ab dem Westfeldzug.

Nachrichtenoffizier Wetterschiff „Sachsenwald“ ab Oktober 1940.

Nachrichtenoffizier des Schlachtschiffes „Gneisenau“ ab Sommer 1941.

Ortungsoffizier im Stabe des Befehlshabers der Schlachtschiffe auf dem Schlachtschiff „Tirpitz“.

Ortungsoffizier im Stabe des Befehlshabers der Kreuzer mit Einsatz auf allen Schweren und Leichten Kreuzern und Zerstörern.

Ortungsoffizier im Stabe des Flottenchefs mit Einsatz auf „Scharnhorst“, zugleich A 4 b beim Oberbefehlshaber Gruppe Nord.

Kommandochef Ladungsschnellboot (Anm.: Typ) „Linse“ bis Invasion Juli 1944.

Ausbildungsleiter „Linse“ und Chef der Ausbildungsflottille „Sirius“ bis März 1945.

Chef eines Front-Erprobungskommandos im Kleinkampfverband.


1. Die ND-Feindlage Ende 1943 zwischen Gotenhafen und Kirkenes aus der Sicht des Flottenkommandos


Man muss bei der Betrachtung der ND-Lage 1943 mit der Situation im französischen Atlantikhafen Brest zur Jahreswende 1942 beginnen. In Brest lagen die Schlachtschiffe „Gneisenau“ und „Scharnhorst“ zusammen mit dem Schweren Kreuzer „Prinz Eugen“ in den Docks und ab etwa Februar 1942 an ihren Liegeplätzen. Die Schiffe waren trotz Tarnanstrich und Netzwerk von der Bevölkerung ohne Behinderung zu erkennen. Vor allem war das Auslaufen zu Übungen, Funkbeschickung und Kompensation von vielen Fischern in der Bucht von Brest zu beobachten.

Die erfolgreiche Bombardierung der „Scharnhorst“ vor La Pallice zeigte, dass das Auslaufen des Schiffes aus dem Gefahrenbereich Brest vom feindlichen ND trotz Tarnung erfasst und gemeldet sein musste.

Eine feindliche Agententätigkeit wurde uns frühzeitig dadurch bekannt, dass während der für uns verlustreichen britischen Bombenangriffe bei Dunkelheit immer wieder Lichtzeichen vom Boden aus gegeben wurden. Sie wurden zwar von der Bordflak beschossen, waren aber nicht völlig auszuschalten

Vor dem Auslauftermin am 11. Februar 1942, 20:30 Uhr, ist das "Dampf aufmachen" bzw. Zünden der Kessel einschließlich der entsprechenden Auslaufvorbereitungen an den Liegeplätzen von einem halbwegs geschulten Kundschafter unschwer zu erkennen gewesen.

Der britische Nachrichtendienst bzw. seine französischen Vorposten haben hier völlig versagt und das Auslaufen des deutschen Verbandes regelrecht verschlafen.

Das aber hat bei uns dazu geführt, die feindliche Aufklärungstätigkeit, besonders in den Häfen besetzter Feindgebiete und in den Küstenvorfeldern zu unterschätzen.

Unsere Abwehrstellen wurden, trotz des Ansehens von Admiral Canaris, meist nicht ganz ernst genommen.

Für uns Schlachtschiff-Fahrer waren die Detonationen britischer Bomben auf unserem Panzerdeck eine Stärkung des Vertrauens zur Standfestigkeit unserer Schiffe, auch wenn der Deckspanzer durchschlagen wurde - der Bombenzünder soll ja beim Durchschlag ansprechen.

Bei der „Scharnhorst“ jedoch wurde vor La Pallice durch britische Spezialbomben das ganze Schiff einschließlich Deckspanzer und Panzerdeck durchschlagen. Sie stanzten glatte Löcher in das Schiff und wurden als Blindgänger aus dem Meeresboden wieder herausgefischt. Die Briten hatten sich offensichtlich hinsichtlich der Härte unseres Panzerstahles verrechnet. Dass es den „Prinz Eugen“ in Brest so schwer traf, haben wir daher durchaus verstanden, denn dessen Panzerung war im Vergleich zu den Schlachtschiffen recht schwach. Die ersten Bedenken kamen auf, als die Schlachtschiffe in den Docks zusätzlich mit französischen Beute-Panzerplatten abgedeckt

Mit den Bombentreffern auf der „Scharnhorst“ verschwand unser Vertrauen zum eigenen Schiff. Wir kamen uns ohne unsere Beute-Platten reichlich ungeschützt vor.

Wir kamen in die Heimat nach dem Kanaldurchmarsch als stark angeschlagener Kern der Flotte. Hier fühlten wir uns hinsichtlich der Bombenangriffe zwar wie in Brest, aber hier war Heimat und scheinbare Sicherheit. Da waren keine feindlichen Späher und Heckenschützen - meinten wir!
Und dieses Gefühl einer scheinbaren Sicherheit übertrugen wir auf alle Plätze zwischen Gotenhafen und Kirkenes. Bezüglich der Morde an deutschen Soldaten war das gerechtfertigt, die Späher und Aufklärer des Gegners aber waren überall, wo deutsche Schiffe lagen.


1.1 Polen: Gotenhafen


Kaum einem Besatzungsmitglied eines deutschen Schiffes kam es je in den Sinn, dass er sich hier in erobertem Feindesland befand. Gotenhafen war bei den Seeleuten als Liegeplatz äußerst beliebt. Als „Prinz Eugen“ mit abgeschossenem Heck von Trondheim nach Kiel verlegt wurde, sangen die Seeleute nach einer bekannten NS-Melodie:
„Wir wollen nach Gotenhafen, denn Kiel liegt am Arsch der Welt.“
Vielleicht dachten sie auch an die zu erwartenden Luftangriffe. Das Ende der „Gneisenau“ war noch nicht vergessen.

Bei aller Geringschätzung des polnischen Volkes durch die Nationalsozialisten hatten sie doch eine Gemeinsamkeit mit ihnen und zwar den Antisemitismus und den übertriebenen Nationalstolz. Seit der Zuwanderung der Juden nach Polen hat es dort immer wieder Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung gegeben, nicht nur aus religiösen Motiven, sondern auch aus Neid und Habgier.
Diese Ausschreitungen waren keine russische Erfindung, im Gegenteil.

Von den im Untergrund lebenden Juden ging für uns keine Gefahr aus. Zu den sich bildenden Untergrundarmeen bestand offensichtlich keine Verbindung. Es hat nur wenige Polen gegeben, die den Juden beim Kampf ums Überleben geholfen haben. Die Rivalität der polnischen Heimatarmee unter General Bór-Komorowski zur polnischen Volksarmee ließ ein wirksames und geschlossenes Vorgehen nicht zu.

Die Kommunisten hatten es ohnehin seit der Besetzung Ostpolens durch die Sowjetunion sehr schwer, deren berechtigte Ansprüche auf die Curzon-Linie als sowjetisch-polnische Grenze anzuerkennen und zu vertreten.

Da die polnische Heimatarmee von der Exilregierung in London über Funk geführt wurde, nahmen wir Nachrichtenleute die Existenz eines Meldeweges über Schiffsbewegungen mit Schwerpunkt Gotenhafen an. Wir waren aber auch der Meinung, dass eine Kette von Beobachtungs- und Meldepunkten besonders die Bewegungen der schweren Einheiten und Bootsverbände zwischen Skagerrak und Gotenhafen unter Kontrolle hatte. Zu oft erschien beim Marsch nach Norden der „Aufklärer vom Dienst“ wie dorthin bestellt am Ausgang des Skagerraks und zwang z.B. die „Scharnhorst“ zweimal zur Umkehr.

Selbst wenn wir annehmen konnten, uns bei Nacht, Nebel und wie üblich Neumond aus dem Hafen geschlichen zu haben, ohne von feindlichen Spähern gesehen worden zu sein, hatten wir Belt und Sund als unüberwindliche Klippen vor uns.


1.2 Dänische Gewässer


Wenn deutsche Soldaten dänischen Boden betraten, erhielten sie, wie es ja auch heute in anderen Ländern oder auch bei uns üblich ist, ein Merkblatt mit Verhaltensregeln.
"Deutschland schützt Dänemark, Dänemark ist nicht Feindes- sondern Freundesland“, stand dort zu lesen. Alle Soldaten, die je durch dieses Land gefahren sind, wissen, wie streng die Zollbestimmungen waren und wie hart die Strafen bei Übergriffen gegen die Bevölkerung.

Die dänische Industrie arbeitete so reibungslos für uns, einschließlich der Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft, dass Störungen jeglicher Art unterbunden werden mussten.

Aus den Berichten der Abwehr war bekannt, dass zwischen den dänischen Widerstandsorganisationen und dem britischen Nachrichtendienst eine sichere Funkverbindung bestand, die auch Grundlage einer reibungslosen Luftversorgung mit Waffen und Gerät war. Für die Flotte war lediglich der diese Verbindung betreffende Teil eines Schiffsmeldedienstes interessant.

Praktisch war jeder harmlos aussehende dänische Fischkutter unser Feind. Es wurde z.B. ein Kutter aufgebracht, auf dem ein Sender in einem sorgfältig präparierten Hack-Klotz eingebaut war. Für ein blind abzugebendes Kurzsignal ist das Vorhandensein eines verräterischen Empfängers nicht erforderlich.

Wir wussten seit Beginn des Krieges, dass der Gegner einen handlichen Infrarot-Bildwandler etwa in der Form eines Nachtglases benutzte, der unserem leichten Lichtsprechgerät ähnlich sein sollte und ebenfalls mit Batterie betrieben wurde. Mit derartigen Geräten waren Sund und Belt auch bei Dunkelheit einsehbar

Bei Tag war dies ja ohnehin kein Problem. Was zwischen Helsingborg und Helsingør durchlief, wurde von der schwedischen Seite erfasst und nach England gemeldet. Das haben wir jedenfalls mit Sicherheit angenommen.

Dänemark bot dem durchreisenden Deutschen ein Bild der Ruhe und des Friedens. Abgesehen von den bekannten Streiks waren keine Störungen zu verzeichnen. Dänen in Uniform der Waffen-SS-Division „Wiking“ unterstrichen das Bild einer reibungslosen und bei einigen Teilen der Bevölkerung auch freundschaftlichen Zusammenarbeit. Jedoch die nahezu geschlossene Flucht der dänischen Juden mit Unterstützung der überwiegenden Mehrheit des dänischen Volkes ließ das Aufkommen eines organisierten militärischen Widerstandes vermuten.

Ein Stützpfeiler dieses Widerstandes war das "neutrale" Schweden.


1.3 Schwedische Gewässer


Von und nach Norwegen bin ich oft durch das Kattegat gefahren und habe vergeblich nach schwedischen Radargeräten gesucht. Ich bin davon ausgegangen, dass Schweden keine eigenen Entwicklungen besäße und deshalb britische Geräte benutzen würde.

Im Bereich des Metox-Empfängers habe ich nichts feststellen können. Der Einsatz von Radargeräten war jedoch auch gar nicht erforderlich, denn das Beobachtungsnetz war unserer Ansicht nach lückenlos. Helsingborg liegt, wie in der alten Zeit des Wegezolles, so nah am Fahrwasser, dass von einem gutgelegenen Beobachtungsort aus jede Schiffsbewegung bei Tag und Nacht, aber auch jedes Infrarot- oder UKW-Signal von Seeland her ohne weiteres zu erkennen bzw. aufzunehmen ist.

Der Nachschub für Norwegen und die Lapplandfront führte über Schweden, einschließlich der Urlaubertransporte. Dieser Umstand stellte unserer Ansicht nach die größte Fundgrube für den britischen Nachrichtendienst dar. Geschulte Befrager konnten gefahrlos, als deutsche Soldaten getarnt, in den Zügen mitfahren. Die Schweden hatten natürlich ihre eigenen Möglichkeiten.

Die deutschen Militärzüge fuhren zwischen Trelleborg bzw. Helsingborg und Narvik über Gällivare – hier stiegen die Lapplandfahrer um - und Kiruna; ferner über Göteborg nach Oslo und von dort nach Trondheim. Eine weitere für uns offene Verbindung bestand in dem normalen Reisezug zwischen Narvik und Trondheim über das schwedische Östersund.

Wir wurden von der schwedischen Zugleitung lediglich beten, bei Aufenthalten auf Bahnsteigen die Pistolen im Abteil zu lassen. Ich habe auf vielen Fahrten nach Narvik und Trondheim festgestellt, dass in den Zügen auch unter Offizieren freier geredet wurde.

Von der Möglichkeit zu desertieren konnte jedoch nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn in Schweden eine Auffangorganisation oder eine politische Partei für das Untertauchen sorgte. Deutsche Deserteure wurden damals von Schweden an das Reich ausgeliefert.

Wir waren uns darüber im Klaren, dass die Truppentransporte mit der Neutralität des Landes eigentlich nicht zu vereinbaren waren. Sie hatten ihren Ursprung in den Hilfszügen für das seinerzeit eingeschlossene Narvik.

Es war also davon auszugehen, dass die Schweden zum Ausgleich dafür auch dem Gegner entsprechende "Konzessionen" machen mussten. Uns war klar, dass sie die Aktivitäten des britischen Nachrichtendienstes ebenso "übersahen" wie die Pistolen und Handwaffen deutscher Soldaten beim Betreten schwedischen Bodens. Uns war auch gemeldet worden, dass in Schweden eine aus dänischen Staatsbürgern bestehende Brigade als Kern einer dänischen Befreiungsarmee aufgestellt wurde.

Britische Blockadebrecher - unbewaffnete Schnellboote - liefen nachts durch den Skagerrak nach Göteborg und holten von dort die in England dringend benötigten Kugellager.

Aufgrund regulärer Flugverbindungen konnte ND-Material auch unter Umgehung des Funkweges nach England gelangen.

Schweden war natürlich auch das Fluchtziel aller in Norwegen eingesetzten britischen Sabotagegruppen.

Wir mussten also in vieler Hinsicht Schweden wie einen Feindstaat betrachten und dabei zugleich bedenken, dass praktisch alle Telefon- und Fernschreibleitungen von Norwegen nach Deutschland über schwedischen Boden verliefen und unserer Ansicht nach rund um die Uhr abgehört wurden. Es lassen sich auch aus offenen Gesprächen und Fernschreiben viele nachrichtendienstlich verwendbare Erkenntnisse gewinnen. Wir waren sicher, dass sie den Code unseres Geheimfernschreibers nicht entziffern konnten, mussten aber damit rechnen, dass sie das aufgenommene Material auf dem genannten Luftwege nach England lieferten.

Auf dem Funksektor sah es für uns noch weitaus ungünstiger aus: Man konnte davon ausgehen, dass die Schweden von der Grenze her den UKW-Funkverkehr mithören konnten. Die Ausbreitungsbedingungen in diesem Bereich waren damals schon bekannt. Danach haben wir immer mit meteorologisch bedingten Überreichweiten, wie sie heute jeder Fernsehzuschauer kennt, mit starken Reflexionen an den Bergen und mit den sehr starken Überreichweiten durch Nordlichteinflüsse gerechnet.

So sind die Vorstellungen einiger Autoren, Admiral Bey hätte z.B. vor dem Auslaufen seine Kommandanten über UKW besser informieren sollen, völlig abwegig. Der Aufdruck "Feind hört mit" auf den Mikrophonen war durchaus ernst zu nehmen.

Es bestand auch unsererseits Klarheit darüber, dass die Schweden mit Hilfe von Funkbeobachtungs- und Peilstationen versuchen würden, besonders im Bereich Narvik und Altafjord Erkenntnisse über Schiffsbewegungen usw. zu gewinnen.

Für Fernpeilungen von England, Island aus waren die Voraussetzungen in diesen Gebieten denkbar ungünstig, besonders auf der Kurzwelle. Dies betrifft zwar im hier behandelten Zeitraum die Periode der geringsten Sonnenfleckenzahl, dennoch war gerade zur Jahreswende 1943/44 starkes Nordlicht zu verzeichnen. Das bedeutet den zeitweiligen Ausfall jeglichen KW-Funkverkehrs sowie Echoerscheinungen mit mehreren Erdumläufen und stark verschwommenen Zeichen. So gestalteten sich z.B. die Kurzwellen-Bedingungen zur Zeit des Unterganges der „Scharnhorst“.


1.4 Norwegen


Norwegen war bei oberflächlicher Betrachtung für uns das sicherste Land. Man konnte an jedem Ort bei Dunkelheit alleine spazieren gehen. Ob in Oslo oder in der Einsamkeit der Altafjord-Berge, man fühlte sich sicher.

Natürlich wussten wir, dass wir mindestens die Hälfte des norwegischen Volkes zum Feind hatten. Darüber täuschten uns auch nicht Quisling und seine zahlreichen Anhänger hinweg. Zum Glück für die Zivilbevölkerung gab es keine Sabotage und Morde durch Partisanen wie z.B. in Frankreich, wo die auf derlei folgenden Geiselerschießungen zur Erzeugung des gewünschten Hasses in der Bevölkerung mit einkalkuliert waren. Alle bekannten Kommandounternehmen wurden von Soldaten (auch Norwegern) in britischer Uniform ausgeführt, um sie als reguläre Kampfhandlungen herauszuheben.

Diese nur scheinbare Sicherheit führte zu einem Verhalten der in Norwegen stationierten Seestreitkräfte, welches sich durch eine bemerkenswerte Ahnungslosigkeit kennzeichnet.

Wir sind davon ausgegangen, dass vom Skagerrak bis zum Varangerfjord eine Vielzahl von harmlos aussehenden Beobachtern stand, die jede Schiffsbewegung meldeten, besonders die der schweren Einheiten. Wir haben uns oft gefragt, was wohl im Kopf des norwegischen Lotsen vorgehen mochte, wenn er ein Schiff wie die „Tirpitz“ durch die Schären brachte, ohne es absichtlich auflaufen zu lassen. Die Küstengewässer waren damals nur ungenügend, nur für den „Hausgebrauch“ vermessen; entsprechende Erfahrungen haben die „Lützow“ und auch mehrere Zerstörer bei Grundberührungen machen müssen. Die „Tirpitz“ hat sich z.B. bei einer Übungsfahrt im Trondheimfjord die Fahrtmess-Sonde abgefahren, als sie über eine uns unbekannte Klippe lief. Den Norwegern war diese natürlich bekannt.

Als die schweren Einheiten noch im Trondheimfjord lagen, war dieser Bereich selbstverständlich Schwerpunkt feindlicher Kundschaftertätigkeit. Die Ansicht, britische Flugzeuge hätten die „Tirpitz“ nur zufällig beim Überflug entdeckt, ist absurd. Alle Einheiten waren von Land aus zu erkennen und damit auch weiter zu melden.

Der erste Angriffsversuch von zwei britischen Kuttern auf die „Tirpitz“ scheiterte am Seegang in der Einfahrt zum Trondheimfjord, wo die Torpedoträger abgerissen wurden. Das war die erste Vorwarnung. Ohne Steuerung von Land wäre der Angriffsversuch nach unserer Ansicht nicht möglich gewesen.

(Anmerkung des Bearbeiters:
Taddey meinte damit die britisch-norwegische „Operation Title“, bei der am 30. Oktober 1942 Froschmänner mit zwei bemannten Torpedos vom Typ „Chariot“ ihre Sprengsätze an die im Fættenfjord liegende „Tirpitz“ anbringen sollten. Diese „Chariots“ wurden vom Fischkutter „Arthur“ geschleppt, der beide Torpedos unterwegs verlor, worauf die Besatzung den Fischkutter am 1. November im Trondheimfjord versenkte.)

Die Stationierung des Aviso „Hela“ mit dem Flottenchef im Hafen von Trondheim brachte mancherlei neue Erkenntnisse auf Gebieten, die uns völlig fremd schienen und mit denen wir in dieser Form noch nicht in Berührung gekommen waren.

Im Hafen lag eines Tages ein typisches norwegisches Passagierschiff in Rufweite an der Tonne. An Oberdeck wurden Leute in Anzügen, die eher einem Schlafanzug glichen, herumgeführt. Einem Admiral kann man schlecht die Antwort verweigern und so hörten wir, dass es sich um sogenannte „Jössing-Leute“ handele - norwegische Lehrer - die inhaftiert und als KZ-Häftlinge mit unbekanntem Ziel nach Norden transportiert werden sollten.

Kurze Zeit später lag uns gegenüber am Quai ein deutscher Frachter mit einer seltsamen Menschenfracht. Sie trugen zwar keine einheitliche Kleidung, nach ihrem Aussehen jedoch schienen sie in Jugoslawien oder Griechenland zusammengetrieben worden zu sein. Ihr Alter ließ sich schlecht schätzen, es waren aber meiner Ansicht auch Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren darunter. Erstaunlich war für uns jedoch die Tatsache, dass die auf diese Menschen einprügelnden Bewacher ganz normale deutsche Polizeibeamte waren, mit Gamaschen, Tschako und der bekannten Schmeisser-MPi 18. Man sagte uns zynisch, die Leute würden zu Befestigungsarbeiten an die Eismeerfront transportiert. Die Arbeit sei so schwer und die Sterblichkeit so hoch, dass man sich um den Rücktransport keine Sorgen machen brauche.

Die Verlegung der schweren Einheiten in den Narvikfjord bzw. in die Bogenbucht brachte uns aus dem Bereich der britischen Bomber heraus. Während vieler Nächte zwangen diese uns damals, den Liegeplatz zu verlassen und uns im Fjord in Richtung Steinkjer zu verstecken.

Hier in der Bogenbucht glaubte man, im Schutz der Lofotenkette sicher vor feindlichen Überraschungsangriffen zu sein und zwar nicht nur aus der Luft, sondern auch von Seiten feindlicher Klein-U-Boote, die hier den besser zu kontrollierenden Anmarschweg durch den Westfjord nehmen mussten.

Durch den Angriffsversuch im Trondheimfjord aufgewacht, glaubten wir Nachrichtenleute nicht, dass der Netzkasten uns von allen Sorgen befreien könnte. Es gab z.B. in der Borgenbucht auf „Tirpitz“ meines Wissens weder eine durchgehende Horchwache, noch eine Unterwasserwache durch Kampfschwimmer - denn die hatten wir, im Gegensatz zu den Briten, damals noch nicht.

Erschreckend war die Sorglosigkeit von Schiffsführung und Besatzung. Die Wachen an Oberdeck waren tagsüber vorwiegend mit dem Fangen von Fischen beschäftigt, trotz der reichlichen Verpflegung. Auf dem Schiff lief ein regelrechter Kasernenbetrieb ab, der die erforderliche Wachsamkeit einschlafen ließ.

Hinsichtlich der feindlichen Späher sahen wir hier keinen Unterschied zu Trondheim. Schweden mit seinen Möglichkeiten für die feindlichen Nachrichtendienste lag erheblich näher, die Grenze war zudem in diesem Gebiet wesentlich durchlässiger.

Entscheidend für das Schicksal der Schlachtschiffe „Scharnhorst“ und „Tirpitz“ war deren Verlegung in den Altafjord. Hier auf dem 70. Breitengrad unterlag der Funkverkehr vollkommen den Polarbedingungen, wie sie bereits bei der Behandlung der Verhältnisse in Schweden angedeutet wurden.

Umso mehr bestand also für den Gegner die Notwendigkeit, möglichst noch im KW-Bodenwellenbereich B-Stellen einzurichten. Wir waren uns sicher, dass die Briten sich eine entsprechende Beobachtung aus den nördlichsten Gebieten Schwedens her nicht entgehen lassen würden.

Eine größere Rolle spielten jedoch die Bedingungen im Altafjord selbst. Der UKW-Verkehr war von jedem Punkt des Ufers aus mit einfachen Empfängern aufzunehmen. Jedes Wort war damit dem Gegner direkt ins Ohr gesprochen. Hier wie auch im KW-Verkehr war es auch mit einfachsten Mitteln möglich, bei laufendem Funkverkehr Standortveränderungen zu ermitteln. Dazu kam die Möglichkeit der visuellen Beobachtung bei Tag und Nacht, insbesondere auch unter Zuhilfenahme des bereits genannten Infrarot-Sichtgerätes.

Eine weitere Nachrichtenquelle war der Ort Alta. Hier legten die Boote mit Urlaubern und Kommandierten an und gaben dadurch den gegnerischen Aufklärern wichtige Hinweise.

Im Falle der „Scharnhorst“ trat eine fast unfassbare Panne ein, als die bereits in Alta zur Weiterreise an Land gegangenen Weihnachtsurlauber von der Ortskommandantur einzeln wieder eingesammelt und zur sofortigen Rückkehr an Bord aufgefordert wurden. Sie trafen kurz vor dem Auslaufen des Schiffes wieder an Bord ein. Nur Einer von ihnen überlebte.

Das Verkehrsboot hatte zur Mitnahme von Urlaubern nach Alta auch an der „Tirpitz“ angelegt. Ein MN-Fähnrich kannte den Bordpfarrer der „Tirpitz“ aus seinem Heimatort und blieb einen Tag auf dem Schiff. Das Verkehrsboot aber lief mit den eingesammelten Urlaubern von Alta direkt zur „Scharnhorst“.

Im Altafjord mussten wir erstmals er fahren, dass die UdSSR langsam aber sicher näher rückte und uns direkt in ihren Operationsbereich einbezog. Im Porsangerfjord entdeckte ein Vorpostenboot zufällig einen sowjetischen Stützpunkt, der vor kurzer Zeit - vermutlich bei Annäherung eines Bootes - geräumt worden war. Anscheinend waren die sowjetischen Soldaten von einem U-Boot abgeholt worden. Aus den vorgefundenen Verpflegungsresten musste auf Kannibalismus geschlossen werden. Diese tapferen Männer hatten von der Möglichkeit, sich im nächsten Ort zu ergeben, keinen Gebrauch gemacht. Wir mussten von da an mit einer weiteren Bedrohung durch die Aufklärungseinheiten der Sowjet-Marine rechnen.

Man hätte nun seitens der Seekriegsleitung bzw. der Gruppe Nord nach dem Angriffsversuch in Trondheim für den Schutz der schweren Einheiten die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen.

Wie sorglos die Männer der „Tirpitz“ waren, mag die folgende Begebenheit zeigen:
Der IO des Schiffes teilte unsere Sorgen hinsichtlich eines erneuten Angriffes durch Kleinkampfmittel trotz des schweren Anmarschweges zum Liegeplatz und trotz des Torpedonetzes. Er ließ daher einen Schwimmkörper bauen, der mit der Nachbildung eines kleinen Sehrohres bestückt, den gerade noch aus dem Wasser ragenden Turm eines Klein-U-Bootes darstellen sollte. Diese Attrappe war von einem Boot ausgesetzt und hinter der Netzsperre versteckt worden. Mit einer langen, vom Schiff aus nicht sichtbaren Leine wurde nun der Schwimmkörper tagsüber bei ruhigem Wasser langsam zum Schiff herangeholt. Was der IO befürchtet hatte, trat nun ein. Die Wachen bemerkten das Sehrohr zunächst einmal gar nicht, dann schauten sie interessiert zu, was da wohl ankäme und viel zu spät kam dann der Alarm. Die nötigen Konsequenzen jedoch, Horchwache und Unterwasserwache, wurden aus diesem Vorfall nicht gezogen. Die Marine bezahlte das mit dem Verlust der Einsatzfähigkeit des Schlachtschiffes.

(Anmerkung des Bearbeiters:
Der Verfasser spielt natürlich auf die britische „Operation Source“ im September 1943 an, als britische Kleinst-U-Boote, die sogenannten „X-Crafts“, deutsche Schiffe auf ihren Liegeplätzen im Kåfjord angreifen sollten. Dabei wurde die „Tirpitz“ durch die Zeitzünder-Sprengminen der Kleinst-U-Boote „X 6“ und „X 7“ derart beschädigt, dass sie bis zum März 1944 nicht mehr fahrbereit war.)

Man kann den arglosen Männern der „Tirpitz“ kaum Vorwürfe machen. Sie fühlten sich wie zu Hause, weit ab vom Feind, und nur mit wenigen Luftangriffen. Norwegen war für sie kein Feindesland. Die Seekriegsleitung mag diesbezüglich anders gedacht haben, hat aber nicht dementsprechend gehandelt.

Nach Ansicht der Seekriegsleitung war ein Schiff, welches aus einem norwegischen Stützpunkt auslief solange unentdeckt, bis es von der gegnerischen Luft- und Seeaufklärung erfasst wurde. An das Meldenetz im Stützpunkt dachte niemand.

Als Beispiel ist das Minenunternehmen „Zarin“ zu nennen. „Hipper“ hatte mit seiner Minenladung auf der Schanz gut sichtbar im Altafjord gelegen, bevor er mit vier Zerstörern zur Unternehmung nach Nowaja Semlja auslief. Das schwere Wetter während des Anmarsches und die damit verbundene Ungenauigkeit der Positionsbestimmung sind aus vielen Veröffentlichungen bekannt. Worüber aber bisher nicht gesprochen wurde ist das Verfahren, wie die Position bestimmt wurde. Der zum Dienstgrad beförderte Konteradmiral Meisel als Kommandant und der an Bord befindliche Befehlshaber, Vizeadmiral Kummetz, beschlossen, die Admiralitätshalbinsel auf Nowaja Semlja anzusteuern und dort nach der Peilbake zu suchen, um so ihre eigene Position zu bestimmen.

An Bord hatten wir als Spezialisten für das Polargebiet den Kapitän Kraul, den ehemaligen Direktor der sowjetischen Walfangflotte und damals besten Harpunenschützen (1,5 Harpunen pro Wal), mit dem ich meine Kammer teilte. Wir kannten uns "indirekt" von unseren "Himmelfahrtskommandos" her. Er stand mit seinem Wetterschiff „Sachsen“ erstmals bei Grönland, als ich mit der „Sachsenwald“ zwischen den Azoren und Neufundland trieb. Wir lasen gegenseitig unsere Funksprüche mit, weil sie mit der Anschrift "Sachsen…" begannen und dann haben wir einfach weiter entschlüsselt.

Kummetz hat weder mit Menschen auf der Halbinsel gerechnet, noch dachte er an Radargeräte. Kapitän Kraul hat fast geweint. Auf Nowaja Semlja gab es natürlich Wetterbeobachtungsstellen, die nicht nur mit einem größeren Stab von Wissenschaftlern besetzt waren, sondern auch mit Soldaten. Die Sowjets wussten auch, dass Nowaja Semlja für den Wetterdienst unserer Luftwaffe von besonderer Bedeutung war, welche ständig Aufklärungsflüge über der Insel durchführte. Das war der Seekriegsleitung bekannt. Sie hat während des Unternehmens „Wunderland“ die Wetterstation auf Kap Shelanija und die dazugehörigen Unterkünfte durch Artilleriefeuer eines U-Bootes zerstören lassen.

Mit dem Ansteuern der Admiralitätshalbinsel konnte das Minenunternehmen mit Sicherheit keine Überraschung für den Gegner mehr darstellen

Nun wird man sich fragen, warum unsere Ansichten hinsichtlich der Feindlage auf nachrichtendienstlichem Gebiet nicht beachtet wurden. Das stellte beinahe ein Generationsproblem dar:
Auf der einen Seite waren da die Kämpfer der Skagerrakschlacht, die Kleinkrieg im Dunkeln und hinter der Front verachteten und ignorierten. Wenn man als Leutnant oder Oberleutnant seine Bedenken vortrug, lief man sehr schnell Gefahr, für einen Jammerlappen und Defätisten gehalten zu werden, der in jeder Ecke einen Teufel wittere. Mit Gefahren dieser Art mochten sich auch die Offiziere nicht befassen, die nach der Revolution bis etwa 1934 in die Reichsmarine eingetreten waren.

Ich entsinne mich eines Kapitänleutnants M., der damals Abwehroffizier im Stabe des Kommandierenden Admirals in Frankreich war. Der zerbrach an der Sorglosigkeit und Ignoranz der Mitglieder des Stabes:
Der französische Admiral XY erschien eines Tages in Zivil vor meinem Schreibtisch im Marineministerium in Paris, jedoch ohne begleitende Wache. Auf meine erstaunte Frage, woher er käme, gab er an, direkt von der U-Bahnstation Concorde durch einen Geheimgang zum Luftschutzkeller und dem tief unter der Erde liegenden Lagezentrum gekommen zu sein. Wir haben den Geheimgang dann auch gefunden. Aber so ganz wohl war mir nicht mehr, wenn ich alleine unten war. Es gab viele ähnliche Fälle, nur geändert hat sich im Stab hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen nichts. Das war zu viel für Kapitänleutnant M.. Er wurde eines Tages in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Sein Nachfolger im Amt hatte ein dickeres Fell.

Übertroffen aber wurde dies alles, als der damalige Leutnant Eisenmann und ich ohne unser Wollen und Wissen versehentlich durch eine unsichtbare Tapetentür in die schwer bewachten Diensträume des Kommandierenden Admirals gelangten, dort ein uns gefallendes Gemälde aus dem Rahmen entfernten und mitnahmen. Trotz peinlichster Untersuchungen ist nie herausgekommen, wer die Übeltäter waren. Ich weiß aber auch nicht, ob die Geheimtür jemals gefunden wurde.

Die Bereitschaft sich mit technischen oder physikalischen Problemen auseinanderzusetzen war in den höheren Stäben gleich Null. Dabei waren derartige Fragen besonders im Hinblick auf das Schicksal der „Scharnhorst“ von entscheidender Bedeutung.

Man konnte dann nur noch resignieren und sich eine andere Aufgabe suchen.


3. Bemerkungen zum Marine-Funkdienst: Seine Mängel und Folgen


Der Verfasser gehörte noch zu jener kleinen Gruppe von damals begeisterten jungen Leuten - Oberschülern und Studenten – die sich um 1930 herum auf das Gebiet der Kurzwelle wagten und nach dem Bau des ersten Kurzwellenempfängers zum einstufigen 4-Watt-Sender übergingen, um sich so der Schwarzsenderei zu verschreiben. Vorbild für uns war der Physiker Manfred von Ardenne. Unser damaliger Feind war aber nicht die Reichspost, sondern die deutsche Schutzpolizei, in deren Händen die Peilung und Ausschaltung von Schwarz und Agentensendern lag. Die Polizei verfügte nicht nur über eine eigene Geräteentwicklung, sondern mit ihren Peilzügen - vom getarnten Bäckerwagen bis zum Arbeitszelt auf dem Bürgersteig - auch über ein erfolgreiches Abwehrinstrument. Es war verständlich, dass zwischen den beiden Weltkriegen die Siegermächte bemüht waren, den neuen Staat mit Hilfe von Agenten zu durchleuchten. Solche Aktivitäten wurden nach 1933 sicherlich noch gesteigert.

So lernten wir seinerzeit die Begriffe Fernpeilung, Nahpeilung, Nächstpeilung kennen. Die Nahpeilung führte in Verbindung mit der Nächstpeilung praktisch immer zu erfolgreichen Hausdurchsuchungen. Derartige Erfahrungen machten während des Krieges auch die Chefs der verschiedenen Aufklärungsorganisationen, wie z.B. die „Rote Kapelle“. Sie kannten die Gefahr der Nahpeilung durch die Rahmenpeiler der Polizei. Die nur für die Fernpeilung brauchbaren Adcock-Peiler spielten hierbei keine Rolle.

Beim Heer ging man noch einen Schritt weiter und benutzte den Rahmenpeiler als „Grabenpeiler“ für die Infanterie zur Einpeilung gegnerischer Funkstellen im betreffenden Gefechtsabschnitt. Diese Grabenpeiler waren z.B. nach Aussagen von Gefangenen bei der sowjetischen Armee so gefürchtet, dass die Kommandeure dazu neigten, ihre Funkstellen in größeren Abständen zu ihren Gefechtsständen anzulegen, um zu vermeiden, dass im Falle einer Einpeilung und der darauf folgenden Beschießung der Funkstelle nicht auch die Führung des Verbandes getroffen werden konnte.

Während des Krieges wurden die Rahmenpeiler noch weiterentwickelt, bis zum Sichtfunkpeiler mit Kreuzrahmen. Die Frequenzbereiche des Polizei- wie auch des Grabenpeilers lagen bei 3 MC (Nachtfrequenz) und 20-25 MC (Tagesfrequenz). Der Peilbereich der Bodenwelle - auch über Wasser - lag normal bei ca. 10 bis 30 Kilometern.

An Land waren wir Meister auf diesem Gebiet. Nur die führenden Stellen der Marine hatten von diesen Dingen und dem KW-Rahmenpeiler keine Ahnung. Der Kreuzrahmen auf dem achteren Mast des angreifenden Zerstörers mag das Letzte gewesen sein, was ein U-Bootkommandant vor seinem Untergang noch sah.

Auf Agentenaufnahmen britischer Zerstörer ist keinem Auswerter der Marine der Kreuzrahmen aufgefallen. Dies war auch nicht unbedingt erforderlich, da es ja aus entzifferten britischen Funksprüchen bekannt war, dass die britischen Geleitzerstörer und Korvetten mit Kurzwellenpeilern (HF-DF) ausgerüstet waren. Dass es sich dabei niemals um einen Adcock-KW-Peiler handeln konnte, müsste auch einem Seeoffizier als Nachrichtenoffizier aufgefallen sein. So hätte sich z.B. Kapitän zur See Bonatz fragen müssen, was ein Zerstörer mit einem Fernpeiler anfangen könnte.

(Anmerkung des Bearbeiters:
Heinz Bonatz war u.a. ab August 1939 4. Admiralstabsoffizier im Stab des Marinegruppenkommandos West. Von November 1941 bis Januar 1944 war er Chef der Abteilung III Funkaufklärung (SKL Chef MND III), kurz B-Dienst genannt.)

Jedem Peilfunker des Heeres wären die Zusammenhänge sofort klar gewesen. Die Peilrahmen waren ähnlich aufgebaut und im Aussehen den Heeresgeräten gleich. Uns Nachrichtenleuten außerhalb der U-Bootwaffe blieb aber jeder Einblick in Funk- und Schlüsselverfahren sowie Erkenntnisse über den Gegner verwehrt. Selbst als ich 1943 mit Prof. Dr. Runge von der Firma Telefunken durch das OKM nach Brest beordert wurde und an der Befragung von U-Bootkommandanten und -Wachoffizieren teilnahm, war von Funksprüchen im Bodenwellenbereich des Geleites kein Wort zu hören. Das war offensichtlich noch geheim.

Die oben genannten Probleme lassen sich auf den Mangel an ausgebildeten und engagierten Nachrichtenoffizieren zurückführen.

Ein Nachrichtenoffizier sollte zumindest das Abitur mit einer sehr guten Note in naturwissenschaftlichen Fächern, besser noch ein Studium in dem betreffenden Gebiet absolviert haben. Dies war bei der Kriegsmarine nur bei einem Teil der Reserveoffiziere der Fall.

Der Seeoffizier mit einem sogenannten FTO-B-Zeugnis besaß nicht einmal die Fachkenntnisse, die ihn heutzutage zum Ablegen einer Amateurfunkprüfung befähigen würden. Mit einem Funkoffizier der Handelsmarine war er natürlich nicht zu vergleichen. Das war aber auch nicht Sinn der Sache. Funker, also jene Männer an den Tasten, waren bei der Kriegsmarine zu allen Zeiten Gefreite oder Maate. Selbst der Funkmeister nahm in seinem Abschnitt andere Führungsaufgaben wahr.
Nachrichtenoffiziere gab es als Admiralstabsoffiziere (A 4) in den Stäben, als MNO auf Landfunkstellen, als BNO auf Schiffen vom Kreuzer an, als FTO auf Schiffen ab Kreuzer als Gehilfen des BNO bzw. A 4.

Gute Oberfunkmeister wurden während des Krieges zu Nachrichtentechnischen Offizieren befördert. Das waren in der Regel zwar ausgezeichnete Funker und technische Leiter von Bord- und Landfunkstellen, da ihnen jedoch meist eine technische bzw. naturwissenschaftliche Vorbildung fehlte, kam es manchmal zu verhängnisvollen Fehlentscheidungen.

Der reine Marinenachrichtenoffizier (MN) war nicht zu schlagen, wenn er über eine Vorbildung auf den Gebieten Physik, Elektronik oder Mathematik verfügte. Ein Nachrichtenoffizier sollte auf allen Gebieten einsatzfähig sein, ob Nachrichtenbeschaffung, Entzifferung, Ortung oder Übermittlung. Nachrichtenoffiziere dieser Art hatten 1944 aber gerade den Dienstgrad eines Oberleutnants (MN) erreicht, konnten also bis auf wenige Ausnahmen keine führenden Positionen einnehmen.

Alle Führungspositionen - vom A 4 bis zum Chef des Marinenachrichtendienstes - waren somit von Stabsoffizieren besetzt, welche vielleicht gute Seeoffiziere, jedoch nur mangelhaft vorgebildete Nachrichtenoffiziere waren, obgleich sie dies oftmals selbst gar nicht empfanden und sich teilweise auch noch nach dem Kriege für Fachleute hielten.

Mit Schmunzeln denke ich immer noch an jenen II. MNO in Norddeich Radio. Ein britischer Dampfer funkte SOS. Der wachhabende Gefreite am Empfangsplatz rief diese Nachricht laut in den Raum. Der ehemalige Funkoffizier der Handelsmarine, nun Matrose der Kriegsmarine, Hammerstein wollte mithören und fragt laut: „Wo ist er denn?“
Antwort: „Auf 600 Meter.“
Da betrat der von uns allen geachtete II. MNO Kapitänleutnant P. den Funkraum und bekam die Zurufe mit. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, sah zum Fenster Richtung See hinaus und meinte: „600 Meter, da müsste man ihn doch sehen können.“
Ob Post oder Marine, alle die mit Funk zu tun hatten, waren zunächst einmal vor Lachen arbeitsunfähig. Das ist kein Witz, sondern leider so geschehen. Kapitänleutnant P. war ein ausgezeichneter Offizier des Ersten Weltkrieges, der einberufen bzw. reaktiviert worden war und für den eine Aufgabe gefunden werden musste.

Und so kam es, dass alle Seeoffiziere, die nicht zur Seefahrt taugten - oder am Ende der Rangliste standen, wie es Admiral Heye, aber nur wenn er angetrunken war, bemerkte - in der Nachrichtenlaufbahn erschienen. Wäre man wenigstens auf den Gedanken gekommen, technisch vorgebildete Ingenieur- oder Waffenoffiziere zum Eintritt in die MN-Laufbahn zu bewegen, hätte sich manches anders entwickelt.

Die eigentliche Abwicklung des Funkverkehrs hat unter dieser Situation nicht gelitten. Der Funkbetrieb lag sicher in den Händen erfahrener Funkmeister, Maate und Obergefreiter. Der Betrieb hätte auch ohne Nachrichtenoffiziere funktioniert, ausgenommen in den Stäben oder in der SKL. Dort war alles nur eine Sache des Dienstgrades. Die Ansichten junger Offiziere zählten dort nicht.

So verbot mir einmal Admiral Stummel bei einer Besprechung im OKM die Verwendung des Namens Adcock, als ich ihm erzählte, dass es sich um eine englische Bezeichnung handele. Da er aber seinerseits keine eigene Benennung finden konnte, blieb es bei Adcock.

Wenn man nach dem Kriege feststellen muss, dass praktisch bis 1944 kein Fachoffizier in der SKL zur Bearbeitung technisch lebenswichtiger Fragen im Bereich Funk und Ortung herangezogen wurde, kann man sich nur wundern, dass der Gegner nicht schon früher zu seinen Erfolgen gekommen ist.

Hinsichtlich mancher Veröffentlichung über den Funkbetrieb auf schweren Einheiten wie „Bismarck“ und „Scharnhorst“ ist es mir wichtig, darüber ein klärendes Wort zu sagen. Auf den Schweren Kreuzern war die Lage ähnlich, wenn sie den Befehlshaber an Bord hatten.

Die Schiffe besaßen drei Funkräume unter dem Panzerdeck, die Räume A, B, und C, welche zugleich auch die räumlich getrennt voneinander untergebrachten Sender aufnahmen. Jeder Funkraum enthielt 4 oder 5 Empfangsplätze für Kurz- und Langwelle, etwa 3 bis 5 Sender des gleichen Frequenzbereiches, zu Täuschungszwecken einen Löschfunken-Sender, einen Gonio-Peiler und einen UKW-Sende-Empfänger. Die Sendeleistungen von 200 bzw. 800 Watt wurden über Kabel jeweils zur schaltenden Antenne geführt. Sendermäßig konnte ein Schiff den Ausfall aller 3 Funkräume verkraften, da in der Gefechtsnachrichtenzentrale und in der Verbandsnachrichtenzentrale noch Empfangs- und Sendegeräte geringer Leistung zur Verfügung standen. Die Luftnachrichtenzentrale verfügte ebenfalls über einen Sender mit 200 Watt Ausgangsleistung sowie den dazugehörenden Empfänger, während der Bordwetterwarte ein Allwellenempfänger und je ein Lang- und ein Kurzwellenempfänger zur Verfügung standen.

Man kann also sagen, dass im Schnitt ein Schlachtschiff oder Kreuzer über 20 Empfänger verschiedener Frequenzbereiche, etwa 15 Sender verschiedener Leistungen und Bereiche und mehrere UKW- Sendeempfänger verfügte. Alle diese Stationen waren untereinander, wie auch zur Brücke hin, mit Rohrpost-, Fernsprech- und Hellschreiberverbindungen versehen. Dazu kam das zu mehreren Kreisen schaltbare Netz der Befehlsübermittler, welche ständig direkt mit der Brücke und den wichtigsten Stationen verbunden waren, zu denen natürlich auch die Horcher zählten, deren Meldungen keinen Umweg über die Gefechtsnachrichtenzentrale erlaubten.

Der Sitz oder die Gefechtsstation des BNO oder seines Stellvertreters, des I. oder II. FTO, war die Gefechtsnachrichtenzentrale und nicht der Funkraum. Der BNO war für alle Fragen der Nachrichtenübermittlung zuständig, also auch für das optische Signalwesen.

Er gehörte zum Stab des Kommandanten und hatte somit im Funkraum nichts zu suchen. Was sollte er denn dort auch?

In der Gefechtsnachrichtenzentrale liefen alle Nachrichten und Beobachtungen über den Feind zusammen, wurden vom BNO ausgewertet und der Schiffsführung vorgelegt, wenn nicht, wie bei Horch- oder Funkmessstation, eine Direktleitung zur Brücke über BÜ geschaltet war. Dies erwies sich immer als der kürzeste und sicherste Weg. Der NT-Offizier konnte sich auch in den Funkräumen aufhalten. Er kannte sich gewöhnlich mit dem Funkpersonal besser aus als der BNO oder FTO, genoss meist das Vertrauen der Soldaten und wirkte beruhigend auf sie ein, wenn die ersten Männer beim Schließen der Panzerdecks und dem Ausschalten der Lüfter in Panik gerieten.

Schlimm wurde es bereits, wenn die ersten Abschüsse der eigenen schweren Türme das Schiff erschütterten; von den Einschlägen ganz zu schweigen. Wenn erst die Todesangst Einzug gehalten hat - und das geschieht da unten sehr schnell - kann mit einem friedensmäßigen Ablauf des Funkdienstes nicht mehr gerechnet werden. Es ist daher völlig abwegig, dem Funkpersonal, ob nun BNO, FTO oder Gefreiter, falsche Verschlüsselung, falsche Uhrzeiten oder sonstige Sünden vorzuwerfen.

Die Gefechtsnachrichtenzentrale hatte auf die Dinge, die da unten geschahen, keinerlei Einfluss. Da sie von oben zwar durch den Panzer des Kommandostandes etwas geschützt war, von der Seite und von unten jedoch nur über einen geringen Splitterschutz verfügte, war stets mit deren baldigem Ausfall zu rechnen. Dies galt natürlich erst recht für die Verbandsnachrichtenzentrale, die Gefechtsstation des A 4 des Verbandes. Hier lag der Schwerpunkt der Befehlsgebung. Der auf der Admiralsbrücke fahrende Befehlshaber gibt seine zu übermittelnden Befehle an das Flaggschiff direkt zur Brücke, an die Führung der anderen Einheiten jedoch über seinen A 4 zur Gefechtsnachrichtenzentrale bzw. zum Funkraum. Der A 4 ist der nachrichtendienstliche Berater des Befehlshabers. Im Falle der „Scharnhorst“ zählte dieser zu den ältesten Offizieren im Stabe des BdK.

Einen Fehler haben A 4 und BNO in diesem Falle allerdings gemacht: Die laut Operationsbefehl zu schaltende Küstenlangwelle Polarkreis brachte eine Flut von Funksprüchen rein verwaltungstechnischen Inhaltes zum Schiff. Der absendenden Stelle kann man daraus keinen Vorwurf machen, denn das übliche Funkbild sollte ja aufrechterhalten werden. Aber A 4 und BNO hätten den Empfang mit einem Wort unterbinden können, um sich die Sprüche später von der „Tirpitz“ zu holen.

Wie schon gesagt, sitzt immer ein erfahrener Maat bei den schweren Einheiten an der Taste. Es ist einem guten Funker völlig gleichgültig, auf welchem Schiff oder Boot sein Arbeitsplatz steht. Pannen lassen sich nur aus der Situation im Funkraum erklären, selten aber mit zu geringer Borderfahrung eines Maaten. Wenn also eine größere Anzahl von Funksprüchen nicht aufgenommen wurde, wie z.B. durch „Bismarck“ auf ihrer letzten Unternehmung, so ist die Ursache wohl in Fehlfunktionen von Empfangsgeräten (Aussetzen der Rückkopplung oder Verstimmen der Abstimmskala) zu suchen. Dieses Problem ist immer wieder aufgetreten. Die einfachste Lösung besteht darin, nur die für eine Unternehmung wichtigen Frequenzen für die Befehle der Führung und Nachrichten über den Feind zu schalten und zwar bei unsicheren Verhältnissen mehrfach. Jedoch können auch dann noch Störungen durch Rückkopplung auftreten. Dies bezieht sich selbstverständlich auch auf die kleineren Einheiten, z.B. die Begleitzerstörer der „Scharnhorst“ auf ihrer letzten Fahrt.

Es war zunächst einmal Sache der Schiffsführung, sich von der Seefestigkeit kommandierter Funker durch Prüfung der Personalpapiere nach Land- oder Bordkommandos zu überzeugen. Wenn keine ausreichende Seeerfahrung vorlag, dannkonnte sie durch probeweises Mitfahren auf einem VP- oder R-Boot - und sei es auch nur für eine Woche - nachgeholt werden. So etwas ließ sich „unter der Hand“ immer durchführen. Bei einer Überlastung des Personals durch Seekrankheit hatte die Schiffsführung immer die Möglichkeit der Abschaltung unwichtiger Frequenzen, hier also der Küstenwelle Polarkreis. Was soll auch ein Kommandant in einer derartigen Situation mit einem Funkspruch anfangen, in dem ihm der Umfang der Ersatzseifenpulverlieferung für den nächsten Monat mitgeteilt wird!

Natürlich gab es auf den Zerstörern auch Offiziere mit FTO-B-Ausbildung. Diese hatten aber in allen Fällen eine andere Station, z.B. bei der Torpedowaffe oder bei der Artillerie. Sie hatten so keine Möglichkeit der Einwirkung auf den laufenden Funkbetrieb, wenn sie nicht zufällig „im Vorbeigehen“ Mängel entdeckten.

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass das Funkpersonal bis zum Oberfunkmeister ausgezeichnet gearbeitet hat. Selbstverständlich gab es auch dort Pannen. Es gab sogar einen Funkmeister, der von seinem auf Feindfahr t befindlichen Zerstörer aus Amateurfunkverkehr betrieb - was für ihn aber nicht ohne Folgen blieb.

Eine der größten denkbaren Pannen im Funkverkehr - das Wiederholen eines Funkspruches im Klartext statt in verschlüsselten Gruppen - passierte mir selbst im U-Bootsfunkraum des BdU in Sengwarden, der damaligen Befehlsstelle der Marine Gruppe West:
U-Prien (Anm.: U 47) hatte zur Zeit des Norwegen-Feldzuges im Quadrat "Anton-Karl" ein britisches Schlachtschiff gesichtet, seine Torpedos jedoch schon verschossen. Durch Funkgefechtssignal wurde nun die Gruppe West/ BdU informiert. Mit Wiederholung dieser Meldung auf den U-Bootfrequenzen einschließlich der Längstwelle für getauchte U-Boote sollten nun durch den BdU alle in der Nähe stehenden U-Boote unterrichtet und zum Angriff aufgefordert werden.

Die erste Aufnahme des Spruches war so schwierig, dass der Maat am Empfänger ihn nur mit größter Mühe mitschreiben konnte. Von mir nicht bemerkt, schrieb er die aufgenommenen und verschlüsselten Gruppen in die Spalte "Klartext“ seines Spruchblocks. Während wir die Wiederholung abwarteten, lief der Spruch in den Schlüsselraum zur Entzifferung. Der wachhabende Nachrichtenoffizier ließ den Spruch entschlüsseln, ohne nach Abschreiben des Klartextes diese "Todsünde" des Funkers zu kennzeichnen oder zu verbessern. Die Wiederholung von U-Prien kam besser durch und wurde richtig aufgeschrieben und entschlüsselt.

Der Befehl zum Wiederholen wurde gegeben, auf Kurzwelle jedoch noch nicht ausgeführt. Ich wollte ihn zunächst einmal auf der Längstwelle selbst abgeben, weil mir dort der Empfang durch die Boote sicherer erschien. Ich wusste aber nicht, dass zwei Spruchvorlagen „im Geschäftsgang“ waren und erwischte denn auch die falsche und gab den Klartext in die Taste. Erst bei der Gruppe „K A R L“ fiel mir der Fehler dadurch auf, dass mir noch nie eine Gruppe begegnet war, die ein so klares Wort ergab. Der Längstwellensender konnte im Übrigen vom Funker nicht mitgehört werden, weil durch die Verzögerung auf der langen Strecke zum Standort des Senders in Calve an der Milbe der gegebene Buchstabe immer erst dann zu hören war, wenn mit dem nächsten Zeichen begonnen wurde.

Hier halfen jetzt die schönsten Erklärungen nichts, die Unterlagen für das Funkgefechts-Signalverfahren mussten außer Kraft gesetzt werden. Schlimm daran war nur, dass keine andere Funkstelle den Fehler bemerkt hatte. Anscheinend haben alle geschlafen. So liegt auch bis heute keine Veröffentlichung von britischer Seite vor, wonach diese Panne dort bemerkt wurde.

Zu den oft Verwirrung stiftenden Operationsbefehlen auf dem Funksektor ist in Hinblick auf ihre Urheber folgendes zu bemerken:
Dieser Abschnitt des Befehls wird vom A 4 des jeweiligen Stabes erstellt. Auf die Qualifikation des A 4 bezüglich seiner Kenntnisse im FT-Bereich wurde bereits hingewiesen. Diese Offiziere konnten sich meist den Funkbetrieb auf einem schwer in der See arbeitenden Zerstörer überhaupt nicht vorstellen. Wenn, wie im Falle „Scharnhorst“, von den Zerstörern ca. 5 Frequenzen zu besetzen sind, dann ist das zu erwartende Durcheinander bereits vorprogrammiert. Das Personal reicht schon nicht aus, wenn alle Leute seefest sind. Es ist eine alte Erfahrung, dass, wenn sich Einer im Funkraum übergibt, 2 oder 3 Leute mehr gleichfalls seekrank werden. Der Rest raucht dann verzweifelt dagegen an, sodass der Aufenthalt in einem derartigen Raum unerträglich wird. Und dann wundern sich Außenstehende über eine zu lange Laufzeit der Funksprüche.

Genaugenommen müsste ein Zerstörer mit einer Langwellenfrequenz zum Gegenverkehr (Nahzone) mit geringster Leistung und geringer Bodenwelle, sowie einer Kurzwellenfrequenz für die Führung auskommen, dabei Gegenverkehr nur bei Feindberührung. In Notfällen bei gleicher Lage wäre auch UKW-Einsatz denkbar. Mitgehört werden kann so viel, wie freie Empfangsplätze vorhanden sind

Was schadet es schon, wenn, wie beim Unternehmen „Ostfront“ (Anm.: Die letzte Fahrt der „Scharnhorst“.), der Seebefehlshaber auf diese Weise scheinbar zum Befehlsempfänger wird. Der Flottenchef war ja praktisch auch nur Befehlsempfänger. Als Angehöriger seines operativen Stabes habe ich das nie anders gesehen. Es kommt eben nur auf den Erfolg dabei an.

Bei ungeschützten Schiffen und Booten muss der Funkabschnitt dezentralisiert werden, da als Erstes meist die Funkanlage durch Feindeinwirkung ausfällt. Zerstörer usw. sollten wie Kreuzer auch wenigstens über eine Mindestreserve verfügen. Dies war bei unseren Zerstörern nicht der Fall.


3.1 Die technische Seite des Funkdienstes


Die Reichs- und Kriegsmarine war mit ihren Geräten lediglich für den Ost- und Nordseeraum eingerichtet. Die von der Kaiserlichen Marine im Ostseeraum aufgestellte Brieftaubenabteilung wurde bald durch die schnell fortschreitende Entwicklung der Funkentelegraphie überholt. Ihre größte Bewährungsprobe bestand das neue Nachrichtenmittel in der Skagerrak-Schlacht. Die deutsche Schlachtflotte geriet bekanntlich zwischen 18:10 und 19:30 Uhr in die T-Falle der britischen Flotte und konnte sich bei schlechter Sicht und weitgehendem Ausfall der optischen Signalmittel nur durch das Funkgefechtssignal „Gefechtskehrtwendung“ dem drohenden Untergang entziehen. Dieser Erfolg ließ die letzten Gegner dieser neuen Nachrichtentechnik verstummen. Er war jedoch nicht nur den damals schon recht leistungsstarken Sendern zu verdanken, sondern in erster Linie den Männern an den Detektorenempfängern ihrer teilweise stark getroffenen Schiffe.

Aus dem Detektorempfänger wurde später der einstufige Geradeausempfänger - das Audion - mit Verstärker und etwa ab 1930 der Mehrkreis-Geradeausempfänger, vorwiegend hergestellt von Lorenz und Telefunken. Die Marine hatte sich viele Jahre gegen die modernen Überlagerungsempfänger gewehrt, nicht nur aus Angst vor der Strahlung ihres Oszillators, sondern auch wegen der Mehrdeutigkeit einer Empfangsfrequenz (Spiegelfrequenz) bei den damaligen Zwischenfrequenzen. Dennoch ließ sich der Einzug solcher Geräte nicht umgehen, zumal der Funkgerätepark aus Beutebeständen aufgefüllt werden musste.

Wie schon beschrieben, hatten unsere Geradeaus-Empfänger den Nachteil, dass unbemerkt die Rückkopplung aussetzen konnte. Im Ost- und Nordseebereich hörte der Funker den Tastklick der Leitstelle und verbesserte die Einstellung. Im Atlantik aber fiel der Tastklick des Nahbereiches aus, der Funker konnte nur noch an der Leitnummer feststellen, wie viele Sprüche er verpasst hatte, wenn er die Leitstelle zufällig wieder fand. Nachteilig war es auch, dass die Frequenz meist nach der Eichtabelle und nicht nach geeichter Skala eingestellt werden musste. Bei einem versehentlichen Verstellen der Skala war deshalb der Fehler nicht zu erkennen Die Geräte waren dafür jedoch allen Belastungen durch Erschütterung, Schlag oder Spritzwasser gewachsen und außerdem in mechanischer Hinsicht zuverlässig.

Bei allen Betrachtungen über Funkgeräte soll aber das Muster an Zuverlässigkeit, der Telefunken-Zweikreiser und Allwellenempfänger E 381 H nicht vergessen werden. Es war schon im Luftschiff „Graf Zeppelin“ und auch Handelsschiffen, auf Wetterschiffen und Schlachtschiffen zu finden und wurde von den Funkern wegen seines Aussehens liebevoll die "Brottrommel" genannt.

Bei Heer und Luftwaffe ging die Entwicklung, unter Berücksichtigung der dortigen spezifischen Bedingungen, auch auf dem Empfängersektor mit Riesenschritten voran. So standen wir zu Beginn des Krieges in Norddeich Radio neidisch und bewundernd vor den Überlagerungsempfängern der Post und schämten uns fast unserer schweren Kisten.

Mit zwei weiteren ehemaligen Funkoffizieren der Handelsmarine erhielt ich vom damaligen MNO, Kapitänleutnant Bormann, den Überwachungsauftrag für eine bestimmte Frequenz, auf der zu einem unbekannten Zeitpunkt ein Signal zu erwarten sein sollte. So ganz traute aber auch die Marine und mit ihr das NVK unseren eigenen Empfängern nicht, nachdem wir uns viele Tage und Nächte vor dem grauen Kasten gelangweilt hatten und dabei auch gelegentlich eingeschlafen waren, besonders bei der 8-stündigen Nachtwache. So kam eines Tages der in der Marine bekannte Baurat Dr. Rindfleisch und brachte aus der ČSR als Beutestück einen schwarzen Blechkasten, der jedes Funkamateurherz höher schlagen ließ. Es war ein amerikanischer Hammarlund-Super-Pro, der nun zur Überwachung der Frequenz eingesetzt werden sollte. Ein Vergleich zeigte, dass er selbst im 28-MC-Bereich besser war als die Postgeräte, die damals vor dem Kriege zum Verkehr mit unseren Fabrikschiffen in der Antarktis eingesetzt worden waren.

Am 13. November 1939 hatte ich schon kein Schreibzeug mehr mit auf meine Mittagswache genommen. Ich entsinne mich genau, dass der Tisch gerade frisch gebohnert war. Und während ich so gelangweilt vor mich hin döste, wurde ich durch ein Funksignal aufgeschreckt, welches ich wie im Traum und ganz automatisch mit dem Finger und mit Spucke auf den frisch gebohnerten Tisch schrieb. Es war das erwartete Kurzsignal der „Deutschland“ über den erfolgten Durchbruch durch die Bergen-Shetlands-Enge. Es muss am Super-Pro gelegen haben, denn keine andere Station hatte das Kurzsignal aufgenommen. Nun konnten die Sicherungsmaßnahmen anlaufen. Derlei konnte man sicherlich zu den Sternstunden des Funkdienstes zählen. In zu vielen Fällen hat sich jedoch besonders das Kriegsfunkverfahren als nachteilhaft erwiesen.

Abgesehen von den oft situationsbedingt langen Laufzeiten der Sprüche verging eine zu lange Zeit bis zur Bestätigung es Inhaltes. So führte dies z.B. in Falle „Scharnhorst“ zu schwerwiegenden Missverständnissen zwischen Befehlshaber und SKL/ Gruppe Nord. Der direkte Gegenverkehr mit Bestätigung der Sprüche nach entsprechender Aufforderung wäre hier angebracht gewesen. Ein derartiger Verkehr war auch zwischen Einheiten der Kampfgruppe auf Langwelle im Nahbereich angeordnet. Ähnlich hätte eine solche Verbindung zwischen Kampfgruppe Admiral Nordmeer bestehen müssen.

In der sowjetischen Armee sah man in einer derartigen Situation die offene Abgabe von Sprüchen mit der Aufforderung zur sofortigen Bestätigung vor, damit man sich der Ausführung des Befehls sicher sein konnte, gleichgültig ob der Gegner mithörte oder nicht.

Unter den damaligen Ausbreitungsbedingungen im Polargebiet spielte die Peilbarkeit ohnehin eine untergeordnete Rolle.

Die bei entscheidenden Funksprüchen der SKL aufgetretenen zu langen Laufzeiten ergaben einen zu geringen Abstand zwischen Vorlage des Spruches bzw. seiner Ausführung und der Entzifferung durch den Gegner. Es ist dabei völlig abwegig, uns einen unerschütterten Glauben an die Sicherheit des „Schlüssel M“ nachzusagen. Darauf soll jedoch noch näher eingegangen werden.

Ebenso nachteilig wirkte sich das Funkverfahren beim Untergang der „Bismarck“ aus, nachdem sie schon im Verlaufe der Unternehmung eine größere Anzahl von Sprüchen der Führung nicht aufgenommen hatte und sich die fehlenden Sprüche von „Prinz Eugen“ optisch übermitteln lassen musste. Mögliche technische Gründe hierfür wurden bereits genannt. An den Funkgeräten saßen bestimmt keine seekranken Anfänger, wie dies manchmal heute angedeutet wird. Es wäre jedoch interessant zu wissen, ob es sich, wie im Falle der „Scharnhorst“, ebenfalls vorwiegend um Sprüche mit verwaltungstechnischem Inhalt - Beförderungen, Zuteilung von Seife und Klopapier usw. - gehandelt hat.

Der auf „Bismarck“ zuständige Offizier für Funkmessortung im Stabe des Flottenchefs war der Physiker Dr. Krautwig als Leutnant (MN). Er war mein Vorgänger auf dem damaligen Flaggschiff „Gneisenau“ während der Atlantikunternehmung. Mein Wissen über meteorologisch bedingte Überreichweiten im Bereich britischer Radar-Geräte entstammt den mir von Dr. Krautwig hinterlassenen Unterlagen auf der „Gneisenau“.

Das Vorhandensein von Überreichweiten im Atlantik lässt sich nur mittels genauer Wetterkarten vermuten oder erwarten bzw. durch das Erfassen einer feststehenden und bekannten Radar-Station außerhalb der normalen Reichweite (ca. 15 Grad über dem Horizont) eindeutig feststellen. Derartige Stationen gab es jedoch nicht.

Diese Überreichweiten sind heute jedem Fernsehzuschauer in Form von über den Bildschirm wandernden dunklen Streifen bekannt. Mitten im Atlantik kann man beim Erfassen eines gegnerischen Gerätes nicht eindeutig klären, ob es sich um eine Überreichweite handelt, welche noch keine Erfassung durch den Feind mit sich ziehen muss oder aber um eine direkte Erfassung durch einen in der Nähe befindlichen Gegner.

In dem entscheidenden Augenblick, als die Fühlung zwischen „Bismarck“ und der britischen Flotte abgerissen war, meldete der Flottenchef, er sei von britischen Radar-Geräten erfasst worden und gab einen unvertretbar langen Lagebericht ab, der den Peilbasen des Gegners die Möglichkeit zur Einpeilung gab. Obgleich der eigene B-Dienst den Irrtum erkannte, wurde es unterlassen, die Abgabe des Funkspruches schon bei der ersten Gruppe zu stoppen. Dies wäre ganz einfach mit der Q-Gruppe „QRT“ („Stellen Sie die Übermittlung ein!“) möglich gewesen. Hier hat der damals in der Gruppe West zuständige A 4 versagt. Jedoch hätte er auch nur bei ausreichender Vorbildung die tatsächliche Lage erkennen können.

Dr. Krautwig verfügte mit seinem Metox-R 500-Empfänger nicht über die technischen Voraussetzungen, um jene Überreichweiten festzustellen und hat daher nach bestem Wissen das Schiff als „geortet“ gemeldet.

Tröstlich ist letztens nur, dass der britische Peildienst die ermittelten Daten der „Bismarck“ um 180 Grad versetzt der eigenen Flotte übermittelte.

Ob die „Bismarck“ ohne die oben genannten Fehler eine Überlebenschance gehabt hätte, muss dennoch stark bezweifelt werden. Die Entscheidung wurde ja wohl durch die britische Luftwaffe mit ihren Torpedoflugzeugen herbeigeführt.

(Anmerkung des Bearbeiters:
Taddey verwechselt hier die „Royal Air Force“ mit der „Fleet Air Arm“ - der britischen Marineluftwaffe.)

Ich habe während meiner Tätigkeit als Ortungsoffizier des Flottenchefs festgestellt, dass die Erfahrungsberichte des Dr. Krautwig von keiner Stelle im Oberkommando der KM zur Kenntnis genommen worden sind.

Wie schon angedeutet, kann keinem Angehörigen des Funk- oder Funkmessdienstes ein Versagen nachgesagt werden. Sie haben ihr grausames Ende stundenlang vor Augen gehabt. So sind meine Horcher auf der „Gneisenau“ z.B. damals mit aufgesetzten Gasmasken in siedendem Heizöl gekocht worden. In den Funkräumen der „Bismarck“ wird es nicht anders ausgesehen haben.

Dort zwang das Inferno des brennenden, zerrissenen und glühenden Oberdecks einen sich dort aufhaltenden Teil der Besatzung ohne Befehl, teils noch in unbeschädigten Schlauchbooten, das Schiff zu verlassen. Die vom Wetterschiff „Sachsenwald“ aufgenommenen Schlauchboot-Insassen haben mir gegenüber später im Stabsquartier des Kommandierenden Admirals Frankreich berichtet, dass sie das Schiff am Horizont noch schießen sahen, bevor es, anscheinend nach einer Explosion, kenterte.

Für den Umstand, warum die „Sachsenwald“ auf dem Gefechtsfeld auftauchte, hat sich bislang noch niemand interessiert. Als erster Nachrichtenoffizier des Schiffes hatte ich angeordnet, nicht nur die Sprüche für das bereits genannte Wetterschiff „Sachsen“ mitzulesen, sondern auch alle restlichen Sprüche.

Auf diese Weise haben wir uns bei der Atlantikunternehmung der „Hipper“ vor der drohenden Selbstversenkung gerettet, weil wir aus mitgelesenen Funksprüchen an die Trossschiffe über das Auftauchen der „Hipper“ informiert waren. Ich meine heute noch, dass „Hipper“ beim Insichtkommen die britische Flagge führte – und das mittags!
„Hipper“ suchte dringend den Tanker "Friedrich Breme“, fand aber nur uns am vorgesehenen Treffpunkt. „Breme“ hatte uns bereits Tage zuvor gesichtet, hielt uns für einen feindlichen Bewacher und war geflohen. Wegen unserer laufenden Wettermeldungen an Norddeich Radio war unsere Position dem Gegner ohnehin bekannt und wir erwarteten sozusagen stündlich abgeschossen oder bei Dunkelheit gerammt oder geentert zu werden - wie es den meisten Wetterschiffen erging. Unsere Nähe war also für einen Kreuzer mit nur noch geringen Brennstoffreserven und einen Tanker nicht ungefährlich.

Der Glaube an die deutsche Seegeltung konnte einem jählings vergehen, als in der Nacht ein Blaulicht wie ein Gespenst aufleuchtete und kläglich fragte: "Haben Sie Tanker Breme immer noch nicht gesehen?" Ich tastete mich gerade mit einer Wehrmachtstaschenlampe nach achtern zum WC durch. Da diese Lampe unser einziges Nacht-Signalmittel darstellte, gab ich mit Blaulicht „N“ - nein. Im Anschluss daran sind wir zwei Tage lang nach Norden geflohen, weil wir mit dem Auftauchen von feindlichen Schiffen rechneten.

Später fragte mich niemand danach, wieso wir mit dem Auftauchen der „Hipper“ rechneten. Die Bräuche waren nur für ängstliche Gemüter streng.

Im Falle der „Bismarck“ lief es auf der „Sachsenwald“ ähnlich. Ich betreute die „Sachsenwald“ immer noch vom Admiral Frankreich aus, hatte aber absichtlich davon abgesehen, das Mitlesen anderer Funksprüche zu verbieten. Ein solches Verbot wäre auch unmöglich zu kontrollieren gewesen. Diese tapferen Männer - Maat Blaschke, Gefreiter Zimmermann u.a. - haben also fleißig mitgelesen und den Weg der „Bismarck“ verfolgt. Sie haben es auch geschafft, den unglückseligen Rudertreffer und die aussichtslose Lage des Schiffes zu erkennen. Wilhelm Schütte, Kapitän der „Sachsenwald“, Obersteuermann und Vorpostenbootkommandant des Ersten Weltkrieges, ließ einen Funkspruch an Norddeich Radio abgeben, er wolle zur „Bismarck“ laufen und ihr helfen, da er ohnehin den Heimweg antreten wolle und die Ablösung, das Wetterschiff „August Wriedt“, schon auf Position sei. Die SKL erkannte jedoch die Gefahren durch britische Seestreitkräfte auf dem Anmarschweg und schickte die „Sachsenwald“ auf Warteposition bis zum Abruf. Der Gedanke Schüttes, die „Bismarck“ am Heck zu halten und so auf Kurs zu bringen, war keinesfalls abwegig und ist von der SKL für „Tirpitz“ und „Scharnhorst“ wieder aufgegriffen worden (Schwimmkörper in Otterform).

Schütte wurde jedoch von der SKL zu spät abgerufen. Er fand nur noch ein großes Leichenfeld. Die Seeleute waren zum größten Teil in ihren Schwimmwesten ohne Kragen ertrunken oder an Unterkühlung gestorben. Die aufgenommenen Leichen wurden wieder ins Wasser geworfen.

Als „Sachsenwald“ eintraf, befand sich bereits der spanische Schwere Kreuzer „Canarias“ auf der Suche nach Überlebenden. „Canarias“ versuchte zwar eine Kontaktaufnahme, aber Schütte hatte keine Signalmittel, mit denen er hätte antworten können. Ob die „Canarias“ Tote aufgenommen und identifiziert oder mitgenommen hat, ist mir nicht bekannt. Interessant wäre in diesem Zusammenhang sicherlich der Zeitpunkt des deutschen Hilfeersuchens an die spanische Regierung. Auch die „Canarias“ kam nur wenige Stunden zu spät. Aber ein Dank an die Spanier ist schon angebracht, denn so einfach und problemlos war die Fahrt in diesem Seegebiet auch für einen Neutralen nicht.
Die „Sachsenwald“ lief mit dem Wind ab und fand so das abgetriebene Schlauchboot mit den Überlebenden, welche ihr Leben einigen Funkern verdanken, die vorschriftswidrig handelten.

(Anmerkung des Bearbeiters:
In seinem Manuskript nannte Taddey den Kapitän der „Sachsenwald“ Heinrich Schütte. Er übersah auch, dass die „Sachsenwald“ bereits am 28. Mai, gegen 22:35 Uhr, zwei Überlebende der „Bismarck“ sichtete und anschließend rettete. Es handelte sich dabei um den Matrosengefreiten Otto Maus und den Maschinengefreiten Walter Lorenzen. Die „Sachsenwald“ traf erst am 30. Mai um 00:45 Uhr auf den spanischen Kreuzer „Canarias“, mit dem dann ein Rufzeichenaustausch stattfand. Nach dieser Begegnung machte sich die „Sachsenwald“ auf den Rückmarsch. Dieser Sachverhalt wird so in Schüttes „Bericht über den Einsatz bei der Rettungsaktion“ vom 30. Mai 1941 geschildert.)

Es ist heute natürlich leicht, über all diese Vorgänge zu richten, besonders durch jene Bücherschreiber, die nicht dabei waren oder den Krieg nur aus den Akten kennen.

Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine verfügte z.B. in einem Chefsachenschreiben zum rekonstruierten Tagebuch der „Bismarck“ die Straffreiheit für die geretteten Seeleute, die sich in Anbetracht der besonderen Umstände ohne Befehl vom Schiff entfernt hatten. Wir alle hatten mit der Todesstrafe für diese Männer gerechnet. Erich Raeder, der Ob.d.М., aber wusste noch von der Skagerrak-Schlacht her, wie ein schwer getroffenes Schiff aussieht und hatte Verständnis mit den Überlebenden.

Über die den Ablauf des Seekrieges entscheidend beeinflussende Rolle der Wetterschiffe soll noch bei der Betrachtung des "Schlüssel M" gesprochen werden.

Natürlich hat es weitere schwerwiegende Pannen auf dem Gebiet des Funkdienstes gegeben. Dazu zählt auch das Schicksal der 8. Z-Flottille „Narvik“ in der Biskaya Ende Dezember 1943, wenige Tage vor dem Untergang der „Scharnhorst“, wenn auch die genauen Umstände, die zu dem unglücklichen Ausgang des Biskaya-Gefechtes führten, heute kaum noch zu klären sein dürften.

Der Anmarsch von Kiel zur Gironde im Frühjahr 1943 gab ein derart klägliches Bild vom Ausbildungsstand der 8. Z-Flottille „Narvik", dass der Flottenchef und der FdZ, Kommodore Bey, sehr sorgenvoll in die Zukunft blickten. Bereits in der Elbmündung fiel Z 28 unter Fregattenkapitän Reinicke mit Kesselschaden aus und musste in die Werft.

Der Flottenchef hatte mich als Ortungsoffizier auf Z 37 (Korvettenkapitän Langheld) beordert, das Führerboot der 2. Rotte. Der FdZ verfügte über einen eigenen Ortungsoffizier, den Leutnant (NT) Klee, welcher sich auf dem Führerboot (Korvettenkapitän Erdmenger) befand.

Leutnant Klee hatte keinerlei Erfahrung auf dem Gebiet der Funkmess-Beobachtung und so sah er schon quer ab von Borkum britische Schnellboote. Schlimm wurde es nach Einbruch der Dunkelheit, als wir in den recht schwierigen Gewässern Richtung Boulogne der eigentlichen Gefahr immer näher kamen. Leutnant Klee erfasste angreifende Gegner jeglicher Art, die ganz bestimmt nicht existierten - in Wirklichkeit handelte es sich um die Oberwellen eigener Funkmessgeräte - und meldete sie als feindliche Seestreitkräfte, während der Bord-B-Dienst nur feindliche Nachtjäger richtig erfasste. Das Ergebnis war eine laufende Nachtschlacht, in die auch eigene Landbatterien eingriffen, weil unser Verband nicht überall gemeldet war.

Dies hätte sich durch Einrichtung eines Funk-Gegenverkehrs vermeiden lassen. Wir in der 2. Rotte waren entsetzt über das Feuerwerk, welches uns anscheinend noch erwartete. Aber bei uns geschah zunächst gar nichts. Ich konnte außer dem Nachtjäger keinen Feind auffassen. Und dabei hatten wir ein derart unverschämtes Meeresleuchten in der Hecksee, dass man fast die Zeitung dabei lesen konnte. Man hatte uns für dieses Seegebiet auch allerlei Spielzeug zur Minenabwehr mitgegeben, Geräuschottern und seitlich angebrachte Rohre, die bis in die See gingen und durch die kleine Knallkörper ins Wasser geworfen wurden.

In einem sehr schwierigen Fahrwasser, wo ein Ausweichen nicht möglich war, gab es bei uns echten Schnellbootalarm. Ich hatte die Boote ausgezeichnet im Funkmessgerät, als der Kommandant den Befehl zum Schießen von Leuchtgranaten an den vorderen 15cm-Turm gab. Die Turmbesatzung bestand vorwiegend aus Kadetten, die erst kurze Zeit an Bord waren. Aber das kann keine Entschuldigung für einen Oberstückmeister sein, der die Leuchtgranaten versehentlich mit Gefechtskartuschen verschießen ließ. Die Brückenbesatzung, einschließlich Kommandant, war schlagartig blind, das Funkmessgerät fiel wie üblich aus und die Schnellboote verschossen ihre Torpedos, während von Steuerbord G-Boote mit Leuchtspurgeschossen angriffen, ohne uns zu treffen. Von unseren Leuchtgranaten haben wir nichts gesehen, sie müssen hinter dem Horizont herunter gekommen sein. Die Torpedos liefen zu unserer Erleichterung beiderseits des Bootes vorbei. Wir hätten also gar nicht ausweichen dürfen. Nach Abwehr dieses Angriffes hatten wir eigentlich keine Feindberührung mehr und fuhren der vor uns stattfindenden „Seeschlacht“ hinterher. Richtung Land sahen wir brennende Sperrballon-Prähme und Vorpostenboote. Das ging bis Boulogne so, wo das „Seegefecht“ bis auf den Marktplatz vorgetragen wurde.

Kurz nach Tagesanbruch erschienen wir klar zum Einlaufen vor Le Havre. Dort gab es plötzlich U-Bootalarm. Unser Vordermann meldete „klar bei Wasserbomben“ und warf uns, durch „menschliches Versagen“ bedingt, sofort danach die Wasserbomben vor den Bug. Diesmal mussten wir ausweichen, obgleich die Wasserverhältnisse dies nicht zuließen. Unsere Schrauben bekamen in der Hafeneinfahrt Grundberührung und die 8. Z-Flottille „Narvik“ musste ohne uns weiter. Wir kamen dann nach Reparatur des Schadens hinterher.

(Anmerkung des Bearbeiters:
Der Zerstörer Z 37 verlegte zusammen mit dem Zerstörer Z 32. Die Grundberührung war am 6. März 1943.)

Die Gruppe West befahl sofort Leutnant Klee und mich mit unseren Kladden nach Paris. Ich habe mich fast geschämt, denn bei mir war lediglich das Gefecht mit den Schnellbooten und die Erfassung eines Nachtjägers eingetragen. Leutnant Klee hatte dagegen eine recht große Zahl „erkannter“ Feinde zu verzeichnen, die buchstäblich alle auf eine Fehldiagnose zurückzuführen waren, jedoch unglücklicherweise vom Flottillenchef als sichere Beobachtung angenommen worden waren.

Man muss sich nun die Frage stellen, ob Erdmenger beim Gefecht in der Biskaya ein Opfer ähnlicher Fehleinschätzungen im Bereich Funkmess und Funkmessbeobachtung geworden ist. Der Ausbildungsstand des Funkpersonals kann nicht schlecht gewesen sein. Das für diese Unternehmung erforderliche Radar-Warngerät war jedoch noch nicht - ebenso wie bei der „Scharnhorst“ - zugeteilt. Das britische Artillerie-Radar war mit dem normalen FuMB-Empfänger nicht aufzunehmen gewesen. Wer also letztlich die Fehldiagnose geliefert hat, Funk, Funkmessbeobachtung oder Bord-B-Dienst, wird sich nicht mehr ergründen lassen.

Die 8. Z-Flottille „Narvik“ hat dem Flottenchef während der Zeit des Aufenthaltes in der Gironde-Mündung auch durch fehlerhaftes Verhalten von Kommandanten bei Übungsfahrten erhebliche Zweifel an der Einsatzbereitschaft aufkommen lassen. Alle zu meldenden Schäden und Ausfälle liefen bei der Flotte auf dem Schreibtisch von Kapitän Dau, dem ehemaligen Kapitän der „Altmark“ (nun Fregattenkapitän der Reserve), zusammen. Dort konnte schon der Eindruck entstehen, dass Unvermögen auch bei Offizieren jeglichen Dienstgrades finden war. Darüber war sich Admiral Bey auch bezüglich der 4. Z-Flottille im Klaren, die zur Kampfgruppe im Altafjord gehörte. Wir im Flottenkommando haben den Fehler begangen, eine größere Verbundenheit und besseres Verstehen zwischen dem Führer der Zerstörer, den Flottillenchefs und den Kommandanten als sicher vorauszusetzen.

Über weitere Unternehmungen der Flottenstreitkräfte, z.B. im Eismeer, ist im Zusammenhang mit dem Einsatz von Funkmessgeräten zu berichten. Auch dies war kein Ruhmesblatt.

Man findet in Veröffentlichungen über den Niedergang der U-Bootwaffe oft die Ansicht, eine Änderung des Sendeverfahrens hätte Abhilfe schaffen können. Dazu ist folgendes zu sagen:
Die Entwicklung eines "Schnellsendeverfahrens" durch die Marine war längst überholt und überflüssig. Der Sichtpeiler zeigt auch den kürzesten Impuls auf seinem nachleuchtenden Bildrohr an. Der Versuch, neben der festgelegten Frequenz zu senden, war ebenfalls wirkungslos. Der sogenannte Panorama-Empfänger oder Wellenanzeiger lässt jeden Punkt ober- oder unterhalb der eingestellten Sendefrequenz erkennen. Es handelte sich um „gewobbelte“ Abstimmeinheiten der Empfänger, die mit der Anzeige auf dem Bildrohr synchronisiert waren. Die oben genannten Geräte hätten bei den führenden deutschen Herstellern besichtigt werden können. Nur bei der Marine hatte man keine Ahnung davon.

Es fehlte ganz einfach die Koordination der bei Heer, Marine und Luftwaffe laufenden Entwicklungen. Als die sich verschlechternde Lage Ende 1943 eine Zusammenarbeit erzwang, war es bereits zu spät. Die Schutzbehauptung mancher Autoren, der Führer habe diese oder jene Entwicklung verboten, stellt sich bei näherer Betrachtung in der Regel als absurd heraus.

Zwischen dem Polargebiet und Kreta waren unzählige Funkerhände tätig, um die Nachrichtenverbindungen zwischen Führung und Einheiten an Land oder auf See sicherzustellen. Die schwerwiegenden Fehler auf dem Nachrichtensektor, Fehler, die wir heute mit als kriegsentscheidend ansehen müssen, gerade im Bereich der U-Waffe und der Flottenstreitkräfte, sind weitgehend eine Folge der mangelhaften Ausbildung bzw. Weiterbildung der Führungskräfte bis zur SKL.

In der alten kaiserlichen Marine gab es einen Hohenzollern, der sich anlässlich eines Stapellaufes weigerte, an einem Essen mit den leitenden Ingenieuren und Direktoren der Bauwerft teilzunehmen und zwar mit der Begründung, er setze sich nicht mit „Schlossern“ an einen Tisch. Er sprach damit ganz im Sinne des Korps der alten Seeoffiziere. Dies entsprach auch der damals üblichen Diskriminierung des technischen Personals der Marine. Es gehörte zur Werftdivision und trug damit silberne Knöpfe und Rangabzeichen. Der Leitende Ingenieur eines Schlachtschiffes trug also silberne Ärmelstreifen, der Leutnant zur See dagegen Gold. Derlei wurde erst in der Reichsmarine anders. An der Ignoranz gegenüber der Technik oder dem technischen Fortschritt änderte sich wenig.

Es ist verständlich, dass ein junger Seeoffizier den Willen hat, einmal Kommandant eines Bootes oder Schiffes zu werden. Jedoch waren schon während des letzten Krieges an einen Seeoffizier dieselben Anforderungen hinsichtlich seiner technischen Kenntnisse auf den Gebieten Antrieb, Schiffstechnik, Funknavigation, Funkmesstechnik usw. zu stellen wie an einen Fliegeroffizier. Solche Voraussetzungen wurden praktisch von keinem Seeoffizier erfüllt, ausgenommen die U-Bootoffiziere. Dort gehörten derartige Kenntnisse zum Überleben.

Ein derart komplexes, von magnetischen Stürmen, Sonnenflecken, Ionosphären- und Troposphären-Einflüssen oder Bodenwellenbedingungen abhängiges Nachrichtenmittel wie der Funk- oder Ortungsdienst ist mit einfachen Vorschriften, etwa so wie beim Gewehr 98, kaum zu handhaben. Es erfordert von den Führungskräften mehr als lediglich die Kenntnis oder den Umgang mit Vorschriften, die zudem auf diesem Gebiete recht schnell veralten.

Für die Einstellung vieler Seeoffiziere zur Nachrichtentechnik mag folgendes Beispiel sprechen:
Ein Flaggleutnant sollte als Offizier vom Dienst ein Fernschreiben (Anm.: mit dem Vermerk) „Nur durch Offizier“ annehmen. Er ging daraufhin zum MN-Offizier, der keinen Dienst hatte, und verlangte von diesem, er solle für ihn das Fernschreiben annehmen. Begründung: Er sei Seeoffizier und als solcher rechne er mit der baldigen Kommandierung als Kommandant eines Torpedobootes. Es sei ihm somit nicht zuzumuten, sich an einen Fernschreiber zu setzen. Obgleich fast alle Seeoffiziere für die Annahme von Funksprüchen „M“ oder Fernschreiben obiger Art ausgebildet waren, betrachteten Viele es als ausgesprochene Beleidigung, mit derart „niederen“ Tätigkeiten befasst zu werden. Vielfach hatten sie auch im Unterricht nicht aufgepasst und waren einfach überfordert.

Ich nehme mich selbst hierbei nicht aus. Als ich mein erstes „Chefsachen“-Fernschreiben annehmen musste, habe ich eine ziemlich jämmerliche Figur gemacht. Ich war zur Zeit der geplanten Unternehmung „Seelöwe“ beim Kommandierenden Admiral Frankreich damit beschäftigt, jeden Abend die in den Kanalhäfen liegenden Transportschiffe nach Bomben- oder Tieffliegerangriffen zu zählen. Dies geschah damals noch unter der Regie des später abgelösten Seetransportchefs, Kapitän zur See D.. Es war das unglaublichste Durcheinander, was ich je erlebt habe. Da wurde ich also an den Fernschreiber gerufen. Das Einleitungsverfahren klappte ausgezeichnet und ich erhielt zu meinem Entsetzen rund 30 Anschriften, an die ich das Fernschreiben weitergeben sollte. Dann kam der kurze Text: „Stichtag Unternehmen Seelöwe X plus 15“ (als Beispiel). Auf dieses Fernschreiben hatte die halbe Wehrmacht gewartet, nun sollte es losgehen. Beim Siemens-Fernschreiber der Marine musste der Textstreifen über eine Klebrolle auf das Formular geklebt und dabei auch zugeschnitten werden. Entsprechend klebte mir bald ein Teil des Textes an den ungeübten Händen und an der Uniform.
Als ich nun das Fernschreiben an die Gruppe West weitergab, erhielt ich zur Antwort: „Es fehlt der Stichtag“. Was sollte ich in meinem Entsetzen nun machen. Ich habe etwa 20 Fernschreiber herangeholt, die unter Führung des Fernschreibmeisters mein Zimmer absuchten und den Streifen mit dem Stichtag denn auch fanden. Natürlich hatte ich ihnen vorher sagen müssen, wie der Stichtag aussah. Fernschreiber sind zur Geheimhaltung verpflichtet und so hat mich keiner der braven Männer verraten.

Bisher habe ich kaum etwas über den Funkdienst der UdSSR berichten können. Die bei der Gruppe Nord vorliegenden Erkenntnisse der Funkaufklärung im Nordraum waren sehr dürftig und beruhten in erster Linie auf Beobachtungen der Peilhauptstelle Kirkenes. Über die Nachrichtenaufklärung des Heeres haben wir in der Flotte nichts erfahren. Wir wussten allerdings, dass sich die sowjetische Funkaufklärung in erster Linie gegen den Raum Kirkenes-Petsamo richtete, wo eigene Geleite oftmals mit Erfolg vom Gegner angegriffen wurden. Wir können aber auch in diesem Raum davon ausgehen, dass norwegische bzw. finnische Späher der sowjetischen Seite eine wertvolle Hilfe waren.

Es wäre da noch die Operation „Wunderland“ zu nennen. Der Schwere Kreuzer „Admiral Scheer“ operierte in der Karasee, um einen von der B-Stelle Kirkenes gemeldeten Geleitzug abzufangen. Das Unternehmen scheiterte jedoch an der Sichtung des Wetterstellen-Versorgers „Alexander Sibirjakow“, der vor seiner Versenkung eine entsprechende Warnung an die Funkstelle Dikson absetzen konnte. Der Versuch des Kommandanten der „Scheer“, die Landfunkstelle Dikson mit Artilleriefeuer zu vernichten, zeigt auch hier wieder das Denken der Führungskräfte in Kategorien des Ersten Weltkrieges. Damals waren die üblichen Lang- und Längstwellensender als Maschinensender konstruiert, die im Falle einer Zerstörung über einen längeren Zeitraum nicht zu ersetzen waren; solche Sender waren jetzt jedoch nicht mehr in Gebrauch. Im Falle einer Beschädigung brauchte man nur noch ein Reservegerät aus der Kiste zu nehmen.
Der Funker des „Sibirjakow“ hatte Dikson im Klartext - wie bei der Sowjetarmee in solchen dringenden Fällen üblich - vor dem Auftreten einer feindlichen schweren Einheit gewarnt. Daraufhin hatte man die im Hafen und auf Reede liegenden Schiffe in die Mündung des Jenissei verlegt, die Bevölkerung evakuiert und die Küstenverteidigung einschließlich der im Hafen liegenden bewaffneten Eisbrecher alarmiert. Der Kommandant „Scheer“ brachte sein Schiff vollkommen unnötig in die Gefahr, von den Küstenbatterien oder den Geschützen der Eisbrecher getroffen zu werden. Der von ihm an Land angerichtete Schaden war sehr gering. An der Funkstelle entstand kein Schaden, der die Funktion der Sender hätte beeinträchtigen können. Das betrifft auch die meteorologische Station.

Die Versenkung der rund 40 Jahre alten „Sibirjakow“ mit ihren zwei 76mm-Kanonen durch die schwere Artillerie des Kreuzers kann nicht als Ruhmesblatt angesehen werden. Das Treffen mit dem sowjetischen Versorger machte eine weitere Fortsetzung von „Wunderland“ unmöglich.

Ich hörte zufällig im Deck meiner Division, wie im Hinblick auf diese Versenkung von „Kindermord“ gesprochen wurde. Davon war sonst nur die Rede im Zusammenhang mit der Versenkung des britischen Hilfskreuzers „Rawalpindi“ durch die Schlachtschiffe „Gneisenau“ und „Scharnhorst“.
Von den 104 Personen an Bord der „Sibirjakow“ waren lediglich 32 Militärangehörige, der Rest bestand aus Meteorologen, Wissenschaftlern und Wettertechnikern. Es wurden von „Scheer“ nur 17 Mann gerettet.


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